1. Die Entscheidungen des BVerfG vom 5.7.2010 und 12.8.2010

Nach dem Beschluss des BVerfG vom 11.8.2010 greifen Videoaufzeichnungen mit dem Verkehrskontrollsystem Vidit VKS 3.0 in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein und müssen auf eine gesetzliche Ermächtigung gestützt werden.[1]

Diese Entscheidung des BVerfG vom 11.8.2009 löste eine heftige Diskussion in Literatur und Rspr. aus.

Einige Gerichte und zahlreiche Autoren in der Fachliteratur vertraten die Auffassung, dass es zumindest für einen Teil der gängigen Kameraüberwachungsmaßnahmen im Straßenverkehr keine Rechtsgrundlage gibt und die Fahreridentifizierungsaufnahmen nicht verwertet werden dürfen.

Die überwiegende Rspr. teilte diese Bedenken nicht. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, zogen die Oberlandesgerichte sowohl für Videoaufzeichnungen als auch für konventionelle bildgebende Verfahren § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG als Rechtsgrundlage heran.

Das BVerfG äußerte sich zu dieser Problematik in zwei Entscheidungen vom 5.7.2010[2] und 12.8.2010.[3] Die Auslegung und Anwendung des § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG durch die Fachgerichte sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts könne nicht festgestellt werden.

Die Entscheidungen betrafen ein konventionelles bildgebendes Verfahren (Lichtschrankenmessgerät eso ES 3.0) und eine Videoaufzeichnung mit Übersichts- und Identifizierungskameras (Brückenabstandsmessung VAMA).

Damit dürfte die verfassungsrechtliche Diskussion um die Kameraüberwachungsmaßnahmen im Straßenverkehr beendet sein. Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch Video- und Fotoaufzeichnungen können auf § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO gestützt werden.

Dennoch sind nicht alle Zweifelsfragen geklärt. Wann sind die Voraussetzungen des § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO erfüllt? Dürfen Beweise, die unter Verstoß gegen § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO erhoben wurden, trotzdem verwertet werden? Diese Fragen werden in Rspr. und Literatur unterschiedlich beantwortet.

2. Anlass für Kameraüberwachungs-brmaßnahmen

Von entscheidender Bedeutung für die Zulässigkeit von Kameraüberwachungsmaßnahmen im Straßenverkehr ist die Frage, ob für die Aufzeichnungen ein Anlass bestand oder nicht. Der Begriff "Anlass" stammt aus dem verfassungsrechtlichen Kontext der Entscheidungen zur Zulässigkeit von Datenspeicherungen. Er betrifft sowohl den Grundrechtseingriff selbst als auch die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.

Für die Intensität des Grundrechtseingriffs spielt es eine Rolle, ob der Betroffene selbst einen Anlass für die Überwachungsmaßnahme gegeben hat oder nicht. Verdachtlose Eingriffe in die Grundrechte von Personen, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben, weisen grundsätzlich eine hohe Eingriffsintensität aus.[1]

Aufzeichnungen zur Fahreridentifizierung im Straßenverkehr greifen in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Der Gesetzgeber muss Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs hinreichend bereichsspezifisch, präzise und normenklar festlegen. Demzufolge darf beispielsweise die automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen nicht anlasslos erfolgen oder flächendeckend durchgeführt werden.[2]

Der Anlass für Kameraüberwachungsmaßnahmen im Straßenverkehr kann sowohl im präventiven Gefahrenabwehrrecht als auch in dem repressiven Aufgabenbereich der Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten liegen.[3]

Für die repressive Ahndung von Verkehrsverstößen ist der Tatverdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 OWiG der Anlass für die Aufzeichnung von Verkehrsteilnehmern. Der Tatverdacht legitimiert den Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.[4]

3. Kameraüberwachungsmaßnahmen ohne Tatverdacht

Bereits vor den aktuellen Entscheidungen des BVerfG bestand weitgehend Einigkeit, dass repressive Kameraüberwachungsmaßnahmen im Straßenverkehr, die ohne einen konkreten Tatverdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 OWiG erfolgen, unzulässig sind. Für einen solchen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gibt es keine Rechtsgrundlage. Diese Aufzeichnungen unterliegen einem Beweiserhebungsverbot.[1]

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