A. Einleitung

Nähert sich ein Vorfahrtberechtigter einer Kreuzung, blinkt dabei nach rechts und stößt mit einem aus einer untergeordneten Straße kommenden Linksabbieger zusammen, stellt sich die Frage, ob der Linksabbieger für den gesamten Schaden aufkommen muss oder ob der irreführend blinkende Vorfahrtberechtigte einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, der ihn zur Mithaftung verpflichtet. Die Meinung in der Rechtsprechung ist nicht einheitlich. Überwiegend wird eine Mithaftung aber nur dann bejaht, wenn der Vorfahrtberechtigte nicht nur irreführend geblinkt, sondern auch verlangsamt hat oder bereits zum Abbiegen angesetzt hat; aus dem bloßen Blinken dürfe nämlich noch nicht geschlossen werden, dass auch tatsächlich abgebogen werde.

B. Rechtliche Einordnung der Verkehrssituation

Wer die Vorfahrt zu beachten hat, darf nur weiterfahren, wenn übersehen werden kann, dass er den Vorfahrtberechtigten weder gefährden noch wesentlich behindern wird (§ 8 Abs. 2 S. 2 StVO). Unstreitig besteht die Vorfahrt (weiter), solange der Berechtigte die Vorfahrtsstraße nicht verlässt. Ein Vorfahrtfall liegt aber auch dann vor, wenn ein Fahrzeug aus einer wartepflichtigen Straße in eine bevorrechtigte Straße und ein anderes aus der bevorrechtigten in die untergeordnete Straße einbiegt; in diesem Fall aber nur dann, wenn sich der Wartepflichtige dem Berechtigten dabei zumindest hemmend nähern würde.[1] Gibt der Vorfahrtberechtigte durch Blinken (§ 9 Abs. 1 S. 1 StVO) zu verstehen, dass er abbiegen will, kann der Wartepflichtige abschätzen, ob es die Straßenverhältnisse zulassen, einzubiegen. Wie ist aber der Fall zu sehen, wenn der Vorfahrtberechtigte trotz seines Blinkzeichens nicht abbiegt, sondern geradeaus weiterfährt?

[1] Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 8 StVO Rn 27.

I. Auswirkungen auf das Vorfahrtsrecht

Allgemein wird davon ausgegangen, dass das Blinken nicht zum Verlust des Vorfahrtsrechtes führt. Nach dem OLG München[2] beseitigt das bloße "Rechtsblinken" des Vorfahrtberechtigten weder dessen Vorfahrtsrecht, noch schafft es ein geschütztes Vertrauen für den Wartepflichtigen (Linksabbieger).

II. Vertrauensschutz des Wartepflichtigen (?)

Unter welchen Voraussetzungen der Wartepflichtige sich auf ein Blinksignal des Vorfahrtberechtigten verlassen darf, wird nicht einheitlich beantwortet.[3] Während einerseits vertreten wird, dass der Wartepflichtige im Grundsatz darauf vertrauen darf, dass jemand, der rechts blinkt, auch abbiegt, solange nicht konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die dagegen sprechen,[4] vertritt die Gegenmeinung die Auffassung, dass der Wartepflichtige nur darauf vertrauen darf, dass der rechts blinkende Vorfahrtberechtigte auch tatsächlich rechts abbiegt, wenn sich dies aus einer Gesamtschau der Fahrsituation ergibt, etwa indem der Blinkende seine Geschwindigkeit verringert[5] oder beginnt, tatsächlich abzubiegen.[6] Weitere Indizien können sein: Einordnen nach rechts, Schrägstellung des Fahrzeugs.[7]

Letztere Meinung wird vor allem damit begründet, dass den Wartepflichtigen eine gesteigerte Sorgfaltspflicht trifft.[8] Diese gesteigerte Sorgfaltspflicht bedinge es, dass der Wartepflichtige mit einem verkehrswidrigen Verhalten des Vorfahrtberechtigten rechnen müsse. Er könne sich auf den Vertrauensgrundsatz nur eingeschränkt berufen und dürfe i.d.R. nur auf das Unterbleiben atypischer, grober Verstöße des Vorfahrberechtigten vertrauen. Ein solcher grober Verkehrsverstoß könne dem falsch blinkenden Fahrer nicht vorgeworfen werden: Es sei kein allzu seltener Fall, dass das Rückstellen des Fahrtrichtungsanzeigers – entweder aufgrund eines technischen Defekts oder aufgrund einer Unaufmerksamkeit – unterbleibe. Auch müsse der Wartepflichtige durchaus in Betracht ziehen, dass ein Vorfahrtberechtigter mit den örtlichen Verhältnissen nicht vertraut sei. Insofern liege die Möglichkeit nicht fern, dass der bevorrechtigte Verkehr kurz vor dem Abbiegen erkenne, dass es sich um die falsche Einmündung handele und sein vorheriges Verhalten entsprechend korrigiere.

Nach dem OLG Hamm[9] sind für die Begründung eines Vertrauenstatbestandes sehr strenge Anforderungen zu stellen. Den Wartepflichtigen treffe eine gesteigerte Sorgfaltspflicht. Von ihm werde verlangt, dass er mit Misstrauen an die Vorfahrtstraße heranfahre und im Zweifel warte. Diese gesteigerte Sorgfaltspflicht bringe es mit sich, dass er mit verkehrswidrigem Verhalten des Vorfahrtberechtigten rechnen müsse und sich daher auf den Vertrauensgrundsatz nur eingeschränkt berufen könne. Der moderne Massenverkehr sei gerade bei der Ordnung des Vorranges im fließenden Verkehr zur Vermeidung von Kollisionen auf klare und eindeutige Regelungen angewiesen. Dieses praktische Sicherheitsbedürfnis lasse Ausnahmen von der gesetzlich geregelten Wartepflicht keinesfalls großzügig, sondern nur unter engen und klar bestimmten Voraussetzungen zu.

[3] OLG Saarbrücken, Urt. v. 11.3.2008 – 4 U 228/07 – RuS 2008, 346, auch zum Folgenden.
[4] So z.B. KG Berlin, Urt. v. 23.9.1974 – 12 U 694/74 – DAR 1975, 41 und KG Berlin, Urt. vom 25.9.1989 – 12 ...

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