Die Rechtsprechung des VI. Senats seit dem VW-Urteil steht letztendlich nicht mit Sinn und Zweck des § 249 BGB im Einklang. Die frühere Rechtsprechung des Senats hat aus dem Gesetzeszweck die drei Prinzipien des Schadensersatzes hergeleitet, nämlich den Grundsatz der Totalentschädigung, die Dispositionsfreiheit des Geschädigten und das Wirtschaftlichkeitsgebot. Nachdem der Grundsatz der Totalentschädigung[75] und das Wirtschaftlichkeitsgebot[76] bereits erörtert wurden, ist im Folgenden noch zu klären, ob sich die Verweismöglichkeit mit der Dispositionsfreiheit verträgt.

Unter der Dispositionsfreiheit des Geschädigten verstand der BGH die Freiheit des Geschädigten, das vom Schädiger erhaltene Geld nicht zur Reparatur, sondern anderweitig zu verwenden.[77] Er hat sie damals anhand der Gesetzesmaterialien begründet.[78]

§ 219 des I. Entwurfs des BGB enthielt ursprünglich nur den Grundsatz, dass der Schädiger den Zustand wieder herzustellen hat, der ohne den zum Ersatz verpflichtenden Umstand bestehen würde. Entschädigung in Geld war nur für den Fall des späteren § 251 BGB vorgesehen, dass also die Wiederherstellung unmöglich oder ungenügend ist. Erst die II. Kommission hat der Naturalherstellung den Geldanspruch zur Seite gestellt. Hierzu heißt es in den Protokollen:[79]

Zitat 3

"Es gehe nicht an, dem Gläubiger nur das Recht auf Naturalrestitution einzuräumen. Denn in vielen Fällen entspreche es seinem Interesse, die beschädigte Sache, statt ihre Herstellung zu verlangen, durch eine neue zu ersetzen, und sehr oft würde die Herstellung eine Einwirkung des Schuldners oder der von ihm gewählten Werkleute auf die Sache erfordern, deren Gestattung dem Gläubiger billiger Weise nicht zugemutet werden könne. Dazu komme, dass über die Frage, ob die Herstellung gelungen sei und vom Gläubiger als Erfüllung angenommen werden müsse, nur zu leicht Streit entstehe."

Aus "billiger Rücksichtnahme auf Gläubiger und Schuldner" hielt die II. Kommission es für geboten, dem Gläubiger das Recht einzuräumen, statt der Herstellung den Betrag der erforderlichen Aufwendungen zu fordern. Dies ist die Ersetzungs befugnis, das Recht des Geschädigten, die Wiederherstellung des früheren Zustands durch den Schädiger abzuwählen und stattdessen die Naturalrestitution unter eigener Kontrolle durchzuführen, was der Schädiger zu finanzieren hat.[80]

Die Regelung dient vorrangig den Interessen des Geschädigten.[81] Die gesetzgeberischen Motive zielen darauf ab, dem Geschädigten die Schadensabwicklung zu erleichtern und weitere Auseinandersetzungen mit dem Schädiger zu vermeiden.

In dem Bündel der gesetzgeberischen Motive war von vornherein die Möglichkeit des Geschädigten vorgesehen, den "zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag" anderweitig, nämlich beispielsweise zur Anschaffung einer neuen Sache zu verwenden. Die anderweitige Verwendung des vom Schädiger zu zahlenden Geldbetrags ist nach dieser gesetzgeberischen Entscheidung in das Belieben des Geschädigten gestellt und gegenüber der Durchführung der Reparatur gleichwertig. Die Abrechnung fiktiver Reparaturkosten ist hier schon angelegt.[82] Wenn der Geschädigte sich entscheidet, die Wiederherstellung in seine Kontrolle zu übernehmen, ist kein Interesse des Schädigers auszumachen, wie der zur Herstellung erforderliche Betrag verwendet wird.[83]

Steffen hat gefordert, dass es den Schädiger, wenn er nur den Herstellungsbedarf in Geld zahlen muss, grundsätzlich nichts angehe, ob und wie der Geschädigte den Bedarf tatsächlich decke;[84] der Geschädigte schulde keine Rechenschaft über die Verwendung des Geldes.[85] Weber betont, dass der Schaden mit der Zahlung des zur Herstellung erforderlichen Betrags beseitigt und die Naturalherstellung geleistet ist; der Schädiger habe keinen Anspruch auf einen Verwendungsnachweis, auf Abrechnung der Vorauszahlung oder auf Rechnungslegung.[86]

Angesichts der gesetzgeberischen Erwägungen erscheint es sinnwidrig, wenn der Schädiger dem Geschädigten bei dessen Wiederherstellung in eigener Regie vorschreiben kann, was die Reparatur höchstens kosten darf. Es ist gerade Zweck der Ersetzungsbefugnis, die das Gesetz in § 249 Abs. 2 S. 1 BGB dem Geschädigten an die Hand gibt, ihn von der "Einwirkung des Schuldners" zu verschonen. Nicht weniger als Streit über die Erfüllungswirkung der Naturalherstellung durch den Schädiger gehören zu solcher Einwirkung Meinungsverschiedenheiten über die Frage, was die vom Geschädigten selbst veranlasste Reparatur kosten darf. Es war deshalb im Sinne des Gesetzgebers, diese Frage durch die Anerkennung des Gutachtens als Schätzgrundlage einen neutralen, fachkundigen und wirtschaftlich denkenden Sachverständigen beantworten zu lassen.[87]

Hat der Schädiger selbst die Wiederherstellung zu erledigen, kann er die kostengünstigste Reparaturwerkstatt auswählen. Er ist freilich für das fachgerechte Ergebnis verantwortlich. Übt der Geschädigte dagegen die Ersetzungsbefugnis aus, übernimmt er also die Instandsetzung in die eigene Regie, entlastet er damit d...

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