" … II. 1. Der Kl. stehen gegen die Bekl. zu 1 Schadensersatzansprüche aus § 7 StVG, § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB und aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 2 StVO zu. Gegen die Bekl. zu 2 ergeben sich entsprechende Ansprüche der Kl. aus § 115 VVG."

Rechtsgrundlage für die Abwägung der Verursachungsbeiträge und die Bildung einer Quote ist vorliegend nicht § 17 StVG, der nur bei einer Schadensverursachung durch mehrere Kfz, nicht aber bei einem Verkehrsunfall zwischen einem Kraftfahrzeug und einem Fußgänger anwendbar ist, sondern § 254 BGB (vgl. Scholten, in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl. 2016, § 17 StVG Rn 10; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 17 StVG Rn 3).

a) Auf Seiten der Bekl. sind neben der Betriebsgefahr des Motorrads ein fahrlässiger Geschwindigkeitsverstoß sowie ein Reaktionsverschulden zu berücksichtigen. Der Senat kann offenlassen, ob die Bekl. zu 1 sich der Unfallstelle mit einer noch weiter überhöhten Geschwindigkeit als 55 km/h genähert hat, was aus ihren eigenen Angaben gegenüber dem Senat folgen würde, wonach sie neben der Hinterradbremse auch die Vorderradbremse betätigt haben will. Denn bereits mit der nachgewiesenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 5 km/h liegt ein schuldhafter Verstoß der Bekl. zu 1 gegen § 3 StVO vor. Die Anhörung des Sachverständigen im Senatstermin hat ergeben, dass die Bekl. zu 1 bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h den Kollisionsort erst 0,17 Sekunden später, also zu einem Zeitpunkt erreicht hätte, zu dem die Kl. sich bereits auf dem Bürgersteig befunden hätte, denn diese hätte nur noch 0,15 Sekunden bis zum Erreichen des Bürgersteiges benötigt. Damit hat sich die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit unfallursächlich ausgewirkt.

Darüber hinaus hätte die Bekl. zu 1, wie der Sachverständige im Senatstermin anschaulich dargelegt hat, den Unfall vermeiden können, indem sie sofort auf das Betreten der Straße durch die Kl. (Signalposition I) reagiert hätte. Dabei wäre es ausreichend gewesen, Gas wegzunehmen, was zu einem Geschwindigkeitsabbau von 10 km/h und zu einem um 1 Sekunde späteren Eintreffen am Kollisionsort geführt hätte. Eine Angleichs- oder Vollbremsung wäre dann noch nicht einmal notwendig gewesen. Zu einer solchen Gaswegnahme wäre die Kl. aufgrund ihrer allgemeinen Rücksichtnahmepflicht auch verpflichtet gewesen. Bei unachtsamem Verhalten eines Fußgängers bestehen Brems- und Ausweichpflicht sowie die Notwendigkeit, die Geschwindigkeit herabzusetzen, sobald der Fahrer sieht, dass ein Fußgänger die Straße betritt. Darüber hinaus darf sich ein Kraftfahrer nicht ohne Weiteres darauf verlassen, dass Fußgänger in der Fahrbahnmitte oder vor seiner Fahrbahnbegrenzung noch warten werden, um ihn vorbeifahren zu lassen (OLG München, Urt. v. 16.9.2016 – 10 U 750/13, Rn 7, juris). Es sind vorliegend keine Umstände gegeben, aufgrund derer die Bekl. zu 1 hätte darauf vertrauen dürfen, dass die Kl. auf der Mitte der Straße anhalten und sie vorbeifahren lassen werde. Vielmehr legten die nur relativ geringe Breite der Straße, der entgegenkommende Bürgerbus, das zügige Gehen der Kl. und der Umstand, dass die Kl. beim Überqueren zu keinem Zeitpunkt in Richtung der Bekl. zu 1 blickte, eine gegenteilige Annahme nahe. Die Bekl. zu 1 hätte daher bereits unmittelbar nach Betreten der Straße durch die Kl. ihre Geschwindigkeit durch Gaswegnahme reduzieren müssen und hätte dadurch den Unfall verhindern können.

b) Die Kl. muss sich als Mitverschulden einen fahrlässigen Verstoß gegen ihre aus § 25 Abs. 3 StVO folgende Verpflichtung zur sorgfältigen Beachtung des Fahrzeugverkehrs bei Überquerung der Straße entgegenhalten lassen. Aufgrund dieses Gebots hätte es der Kl. oblegen, nicht nur vor dem Betreten der Straße, sondern auch während des Überquerens den Verkehr in beiden Richtungen zu überwachen und spätestens ab der Straßenmitte erneut nach rechts zu blicken, um sich zu vergewissern, ob ein gefahrloses Voranschreiten möglich ist (vgl. OLG Saarbrücken, Urt. v. 13.4.2010 – 4 U 425/09, NJW 2010, 2525).

c) Der deutlich ins Gewicht fallende Verstoß der Kl. gegen den Vorrang der Bekl. zu 1 stellt die maßgebliche Unfallursache dar und überwiegt die auf Seiten der Bekl. zu berücksichtigende Betriebsgefahr sowie den gegenüber dem klägerischen Verschulden leichter wiegenden Geschwindigkeitsverstoß und das Reaktionsverschulden der Bekl. zu 1. Der Senat hält unter Abwägung sämtlicher Verursachungsbeiträge die Bildung einer Quote von 1/3 (Bekl.) zu 2/3 (Kl.) für angemessen. … “

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