[14] "… 1. Das BG hat bei seiner Befassung mit dem unfallchirurgisch-orthopädischen Gutachten des SV M einen unzutreffenden, von der Senatsrechtsprechung abweichenden Maßstab zugrunde gelegt."

[15] a) Dieser SV hat zunächst in seinem schriftlichen Gutachten angenommen, dass bei der Kl. ein HWS- und LWS-Syndrom vorliege, die daraus resultierenden Funktionseinschränkungen aber nur mit 20 % zu bewerten seien. Er hat dies damit begründet, dass längerfristige Arbeiten mit gebeugtem Oberkörper und ähnlichen Zwangshaltungen nicht möglich seien, diese Tätigkeiten aber nur einen geringen Zeitraum im beschriebenen Tätigkeitsprofil einnähmen.

[16] Bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Berufungssenat hat er sodann – befragt zu den konkreten Auswirkungen auf die Tätigkeit der Kl. – weiter ausgeführt, dass Einschränkungen beim Heben schwerer Lasten, d.h. von mehr als 5 bis 10 kg bestehen, und dass er bei der Höhe der Einschränkung von 20 % zugrunde gelegt habe, dass das Einkaufen im Allgemeinen weniger Zeit in Anspruch nehme als Kochen und Putzen; eine genauere Berechnung wäre bei näheren Angaben der genauen Stundenzahl möglich. Auf die anschließende Schilderung des konkreten Ablaufs des wöchentlichen Großeinkaufs durch die Kl. hat er daran festgehalten, dass diese Beanspruchung in seiner Bewertung berücksichtigt sei, weil die Frage der von der Kl. genannten Gewichte zwar nicht zu vernachlässigen sei und das Treppensteigen mit Gewichten von über 10 kg ein Problem darstellen könne, es sich aber nicht um eine sechsstündige Dauerbelastung handele. Auch bei seiner Anhörung vor dem LG hatte er bereits erklärt, dass der Vorgang des Transportierens schwerer Lasten zeitlich nicht so ausgedehnt sein werde, dass von den 20 % abzuweichen sei.

[17] b) Das BG ist dieser Bewertung des SV gefolgt ohne zu beachten, dass die Beeinträchtigung der Kl. in der Ausübung ihres zuletzt ausgeübten Berufs nicht allein anhand der zeitlichen Anteile der von ihr isoliert nicht mehr zu bewältigenden Tätigkeiten bemessen werden kann.

[18] aa) Für die Bemessung des Grades der Berufsunfähigkeit darf nicht nur auf den Zeitanteil einer einzelnen Tätigkeit abgestellt werden, die der VN nicht mehr ausüben kann (hier: Tragen schwerer Lasten), wenn es sich hierbei nicht um eine abtrennbare Einzelverrichtung handelt, sondern diese untrennbarer Bestandteil eines beruflichen Gesamtvorgangs ist (vgl. Senat VersR 2011, 552 Rn 13 … ).

[19] bb) So liegt es nach dem revisionsrechtlich maßgeblichen Sachverhalt hier. Ein wesentlicher Bestandteil der von der Kl. konkret ausgeübten Berufstätigkeit, wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war (vgl. zu diesem Maßstab Senat VersR 2017, 216 Rn 23), war neben Reinigungsarbeiten und einigen weiteren untergeordneten Tätigkeiten wie z.B. Blumenpflege der vollständige Betrieb der kanzleieigenen Kantine. Dazu gehörte nach dem von der Kl. vorgelegten Anstellungsvertrag und ihrem Prozessvorbringen die vollständige und eigenständige Planung und Durchführung des Mittagessens (für ca. 15–30 Personen) sowie die Durchführung des dafür notwendigen Einkaufs.

[20] Nach den Angaben der Kl. bei ihren Anhörungen in erster und zweiter Instanz sowie im schriftsätzlichen Vorbringen … bedingte dies angesichts des ihr vorgegebenen Budgets von lediglich 3 EUR bis 4 EUR pro Tag und Mitarbeiter sowie des zur Verfügung stehenden Zeitrahmens bei durchschnittlich 200 Essen pro Woche einen wöchentlichen Einkauf im Großmarkt, in dem viele Lebensmittel wie Milch, Kartoffeln, Reis und Mehl nur in Großpackungen von mehr als 5 bis 10 kg zu erwerben waren; zum Beispiel seien Kartoffeln sackweise ab 25 kg beschafft worden, die Einkäufe hätten dann in der Kanzlei vom Fahrzeug über eine Treppe in den Keller gebracht werden müssen, wobei dieser Weg 15 bis 20 mal zurückzulegen gewesen sei. Dass der Einkauf mit dem vorhandenen Budget und Zeitrahmen auch in einer anderen, die Kl. weniger belastender Weise hätte durchgeführt werden können … , ist nicht festgestellt.

[21] Dieser wöchentliche Einkauf ist als untrennbarer Bestandteil der von der Kl. arbeitsvertraglich geschuldeten Versorgung der Mitarbeiter durch die von ihr selbstständig zu führende Kantine anzusehen. Soweit der Kl. die notwendigen Einkäufe nicht mehr möglich gewesen sein sollten, war ihr auch die weitere Führung der Kantine nicht mehr möglich. Sie hätte dann ihre arbeitsvertraglichen Pflichten in diesem Bereich vollständig nicht mehr erfüllen können. Der SV und ihm folgend das BG hätten deshalb nicht nur danach fragen dürfen, welchen zeitlichen Anteil der Einkauf an ihrer Arbeitsleistung hat, sondern auch in den Blick nehmen müssen, in welchem Ausmaß sich ein ggf. anzunehmender Wegfall der gesamten Essenszubereitung auf ihre Berufstätigkeit in ihrer konkreten Ausgestaltung auswirkt.

[22] c) Die Sache ist deshalb schon aus diesem Grund an das BG zurückzuverweisen, damit es prüfen kann, ob und inwieweit sich die von dem SV festgestellten Beeinträchtigungen einerseits auf ihre Fähigkeit zur Versorgung der Mitarbei...

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