Hinweis

"Das Gutachten weicht in wesentlichen Punkten von den Ausführungen des vorgerichtlich eingeholten Gutachtens des Sachverständigen … ab, das als Anlage vorgelegt wurde."

Die Erläuterung dieser Diskrepanzen erfordert eine mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen. Hierzu verweisen wir auf die ständige Rechtsprechung des BGH zu Parteigutachten (zuletzt BGH NJW-RR 2011, 609). Der BGH hat darin ausgeführt:

“Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so ist vom Tatrichter besondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Fall – wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger – den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (st. Rspr., vgl. Senatsbeschl. v. 18.5.2009 – IV ZR 57/08, VersR 2009, 975 Rn 7 m.w.N.). Einwände, die sich aus einem Privatgutachten gegen das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen ergeben, muss das Gericht ernst nehmen, ihnen nachgehen und den Sachverhalt weiter aufklären. Dazu kann es den Sachverständigen zu einer schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens veranlassen. Insbesondere bietet sich die mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen gem. § 411 Abs. 3 ZPO an. Ein Antrag der beweispflichtigen Partei ist dazu nicht erforderlich (Senatsbeschl. v. 18.5.2009 a.a.O., m.w.N.). Gegebenenfalls hat das Gericht den Sachverständigen unter Gegenüberstellung mit dem Privatgutachter anzuhören, um dann entscheiden zu können, wieweit es den Ausführungen des Sachverständigen folgen will (BGH, Urt. v. 14.4.1981 – VI ZR 264/79, VersR 1981, 576 unter II 1 b). Wenn der gerichtlich bestellte Sachverständige weder durch schriftliche Ergänzung seines Gutachtens noch im Rahmen seiner Anhörung die sich aus dem Privatgutachten ergebenden Einwendungen auszuräumen vermag, muss der Tatrichter im Rahmen seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung gem. § 412 ZPO ein weiteres Gutachten einholen (Senatsbeschl. v. 18.5.2009 a.a.O. m.w.N.).‘“

 

Erläuterung:

In der Schadensregulierung gehört die Vorlage von Gutachten zur alltäglichen Praxis. Bei Sachschäden wird in der Regel ein Gutachten zu unfallbedingten Schäden sowie zur Schadenshöhe vorgelegt, bei Personenschäden ein Bericht des behandelnden Arztes oder ein vorgerichtlich eingeholtes medizinisches Gutachten. Da zwischen Geschädigtem und Versicherer häufig streitig ist, ob überhaupt ein unfallbedingter Schaden gegeben ist oder auch die Vorstellungen zur Höhe der Ansprüche unterschiedlich sind, ist das Gericht grundsätzlich verpflichtet, ein unabhängiges Sachverständigengutachten einzuholen.

Sofern die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen von der Auffassung einer Partei abweichen, was üblicherweise der Fall ist, können Einwendungen und Ergänzungsfragen an den gerichtlich bestellten Sachverständigen gestellt werden, mit denen sich dieser auseinandersetzen muss. Dazu kann sich die Partei auf ein eingeholtes Privatgutachten stützen.

Der BGH hat mit seiner Entscheidung vom 12.1.2011 nochmals klargestellt, dass das Gericht den Einwendungen bei Vorlage eines Privatgutachtens sorgfältig nachgehen und den Sachverhalt weiter aufklären muss. In der Praxis erfolgt dies häufig durch die Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen. Hierbei hat auch der Privatgutachter bei seiner Anwesenheit die Möglichkeit, konkret auf die Feststellungen einzuwirken. Das Gericht muss dann prüfen, ob die Einwendungen ausgeräumt wurden. Sofern dies nicht der Fall ist, kann sich das Gericht darüber nicht hinwegsetzen, sondern ist im Hinblick auf die Sachaufklärung nach § 412 ZPO verpflichtet, ein weiteres Gutachten als Obergutachten einzuholen. Allerdings besteht dafür dann auch wieder die Möglichkeit, ein privat eingeholtes Gegengutachten vorzulegen.

Gerade in Fällen von Personenschäden, wenn der gerichtliche medizinische Sachverständige eine Unfallbedingtheit einer Verletzung ausschließt, hat der Geschädigte die Möglichkeit, durch Einholung eines eigenen Gutachtens eines Facharztes das gerichtlich eingeholte Gutachten konkret "anzugreifen". Allein mit der pauschalen Angabe, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige als "besonders sorgfältig und fachlich sehr kompetent" bekannt sei, darf ein Richter dem gerichtlichen Sachverständigen dann nicht mehr den Vorzug geben.

Autor: Verena Bouwmann

RAin Verena Bouwmann, FAin für Verkehrsrecht, München

zfs 10/2016, S. 543

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