AKB 2008 E.1.3; StGB § 142; VVG § 28

Leitsatz

1. Es spricht viel dafür, dass die Obliegenheit aus AKB 2008 E.1.3 (in der im Streitfall vereinbarten Fassung) hinsichtlich des Entfernens vom Unfallort nicht über die Pflicht aus § 142 StGB hinausgeht (streitig).

2. Insb. spricht viel dafür, dass diese Obliegenheit am Unfallort nur ein (passives) Warten gebietet und nicht ein (aktives) Benachrichtigen des Geschädigten oder der Polizei; denn die Klausel verlangt nur, die erforderlichen Feststellungen "zu ermöglichen".

3. Die Grenzen der Pflicht aus § 142 StGB sind jedenfalls bei der Prüfung des Verschuldens einer Obliegenheitsverletzung aus AKB 2008 E.1.3 zu berücksichtigen.

OLG Hamm, Urt. v. 15.4.2016 – 20 U 240/15

Sachverhalt

Die Kl. begehrt aus einer bei der Bekl. genommenen Vollkaskoversicherung Zahlung von 9.592,93 EUR nebst Zinsen. Eigentümer und Halter des versicherten Fahrzeugs, eines P, war der Ehemann der Kl. Dieser geriet mit dem versicherten Fahrzeug am 19.8.2014 gegen 9.30 Uhr auf einer BAB bei Aquaplaning ins Schleudern. Das Fahrzeug streifte die Leitplanke. Der Ehemann der Kl. stieg aus, besah sich die Leitplanke und verließ dann nach kurzer Zeit mit dem beschädigten Fahrzeug die Unfallstelle. Er fuhr in sein Büro und benachrichtigte dort gegen 11.00 Uhr telefonisch die Bekl. Nachfragen oder Weisungen zu aktuellen Feststellungen wurden ihm dabei nicht erteilt.

Die Bekl. machte geltend, der Ehemann der Kl. habe vorsätzlich gegen die Obliegenheit aus E.1.3 Abs. 1 und 2 der vereinbarten AKB verstoßen. Dort heißt es:

"Sie sind verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann. Dies bedeutet insb., dass Sie unsere Fragen zu den Umständen des Schadenereignisses wahrheitsgemäß und vollständig beantworten müssen und den Unfallort nicht verlassen dürfen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen."

Unter erforderlichen Feststellungen ist die Aufnahme der erforderlichen Daten zum Schadenereignis je nach Umfang des Schadens (Unfallbericht, Name und Anschrift der Unfallbeteiligten und Zeugen, Fotoaufnahmen, Verständigung der Polizei und ähnliches) zu verstehen.“

2 Aus den Gründen:

" … Die Kl. hat gem. Ziff. A.2.3.2 Abs. 1 AKB i.V.m Ziff. A.2.7.1 lit b) AKB einen Anspruch auf Entschädigung für die unfallbedingten Reparaturkosten i.H.v. 9.592,93 EUR."

a) Dass das versicherte Fahrzeug infolge eines bedingungsgemäßen Unfalls beschädigt wurde, steht zwischen den Parteien nicht im Streit.

Der Höhe nach ergibt sich der Anspruch aus Ziff. A.2.7.1 lit b) AKB i.V.m. Ziff. A.2.9 und Ziff. A.2.12. AKB. Danach steht dem VN eine Entschädigung in Höhe der infolge des Unfalls erforderlichen Reparaturkosten zu, wenn das Fahrzeug nicht vollständig und fachgerecht repariert wird, wobei der VR gem. Ziff. A.2.9 AKB nur den Nettobetrag erstattet, wenn keine Mehrwertsteuer angefallen ist. Die Reparaturkosten ergeben sich aus dem klägerseits vorgelegten Gutachten, sie betragen 10.092,93 EUR netto und stehen zwischen den Parteien nicht im Streit. Die gem. Ziff. A.2.12 AKB abzusetzende Selbstbeteiligung beläuft sich ausweislich des Versicherungsscheins vom 16.7.2012 auf 500 EUR.

b) Die Bekl. ist nicht gem. Ziff. E.6.1 AKB i.V.m § 28 Abs. 2, 3 VVG von ihrer Leistungspflicht befreit, weil der Ehemann der Kl. eine Aufklärungsobliegenheit verletzte, indem er nur kurze Zeit an der Unfallstelle blieb, ohne die Polizei zu verständigen und der Bekl. den Unfall erst anderthalb Stunden später meldete.

Zwar treffen den Ehemann der Kl. als Eigentümer und Halter des über die Kl. versicherten Fahrzeugs und damit als versicherte Person i.S.d Ziff. A.2.4 AKB gem. Ziff. F.1 AKB dieselben Pflichten wie den VN. Eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung liegt aber nicht vor.

aa) Es ist bereits zweifelhaft, ob objektiv eine Obliegenheitsverletzung vorliegt.

(1) Nach Auffassung des Senats spricht viel dafür, dass die Obliegenheit aus Ziff. E.1.3 AKB, was das Verlassen des Unfallortes angeht, nicht über die Pflichten des § 142 StGB hinausgeht (so auch OLG Saarbrücken zfs 2016, 211, 212 f., unter I 1 a aa; OLG München SP 2016, 123; a.A. offenbar OLG Stuttgart zfs 2015, 96 mit krit. Anm. Rixecker).

Allerdings ist die Obliegenheit von ihrem Wortlaut her weit gefasst (vgl. näher etwa Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, AKB 2008 E.1 Rn 21 m.w.N.). Der durchschnittliche VN, auf dessen Verständnis es ankommt, wird die Klausel aber auf den ihm bekannten Straftatbestand beziehen (ebenso OLG Saarbrücken, a.a.O.), zumal die Klausel offenbar “je nach Umfang des Schadens‘ unterschiedliche Anforderungen stellt.

Das Verlassen des Unfallorts wäre hiernach nur dann eine Obliegenheitsverletzung gewesen, wenn objektiv ein i.S.d. § 142 StGB relevanter Fremdschaden gegeben war und der Ehemann der Kl. dies erkannte oder jedenfalls bedingt vorsätzlich die Augen davor verschloss. Diese Voraussetzungen der Obliegenheitsverletzung stehen zur Beweislast der Bekl. Dass sie vorliegen, lässt sich nicht feststellen.

Der Ehemann der Kl. hat bei seiner Vernehmung vor ...

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