BGB § 254

Leitsatz

1. Eine vollständige Überbürdung des Schadens auf den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens ist nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen.

2. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung haben bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensnachteile außer Betracht zu bleiben.

BGH, Urt. v. 28.4.2015 – VI ZR 206/14

Sachverhalt

Der Kl. verfolgt die Verurteilung des Bekl. aus einem Unfall in einem Skiort in Österreich. Der Kl. kam am Unfalltag auf seinen Skiern vom Skilift kommend und überquerte die Zufahrt zu einer Jugendherberge, auf der Schüler mit dem beklagten Skilehrer standen. AIs der Kl. sich an der Gruppe vorbeischieben wollte, trat der Bekl., der einen ihm aus der Gruppe zugeworfenen Gegenstand fangen wollte, nach hinten. Dabei warf er den Kl. um und fiel auf ihn. Der Kl. erlitt u.a. einen Oberschenkelhalsbruch. Die Haftpflichtversicherung des Bekl. zahlte vorgerichtlich auf den materiellen Schaden des Kl. 14.000 EUR und auf den Schmerzensgeldanspruch 7.000 EUR.

Mit der Klage begehrt der Kl. weiteren materiellen und immateriellen Schadensersatz, die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten und die Feststellung, dass der Bekl. verpflichtet ist, ihm alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind.

Das LG hat ein Verschulden des Bekl. verneint und die Klage abgewiesen. Das BG hat die Berufung des Kl. durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die dem Bekl. wegen seines Rückwärtstretens vorzuwerfende Schadenszufügung nicht haftungsbegründend sei, da dem Kl. überwiegendes Mitverschulden an dem Eintritt des Unfalls vorzuwerfen sei. Der Kl. habe mit einer einfachen Rückwärtsbewegung eines Mitglieds der Gruppe rechnen müssen, die er passiert habe und sich darauf einstellen müssen. Da mit den von dem Kl. benutzten starren Skiern die Möglichkeit des Ausweichens stark eingeschränkt sei, habe der Kl. die mit dem Rücken zu ihm stehenden Teilnehmer der Gruppe entweder verbal auf sich aufmerksam machen oder die Grupps weiträumig umfahren müssen. Ein Mitverschulden des Kl. begründe es, dass er versucht habe, sich zwischen einem Bus und der Gruppe durchzuzwängen. Aus diesen Überlegungen hat das BG abgeleitet, dass der Mitverschuldensanteil des Kl. den Verschuldens- und Verursachungsanteil des Bekl. in einem Maße überwiege, dass eine Haftung des Bekl. jedenfalls über die bereits geleistete Summe hinaus ausgeschlossen sei. Die zugelassene Revision des Kl. hatte Erfolg.

2 Aus den Gründen:

[6] "… 1. Der angefochtene Beschluss kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil die vom BG gegebene Begründung nicht die Zurückweisung der Berufung gegen die Abweisung des Feststellungsantrags und des Antrags auf Ersatz der vorgerichtlichen Kosten des Kl. trägt. Darauf weist die Revision mit Recht hin."

[7] a) Nach der Beurteilung des BG ist eine Haftung des Bekl. “(jedenfalls über die bereits geleistete Summe hinaus)‘ wegen eines überwiegenden Mitverschuldens des Kl. ausgeschlossen. Das BG hält demnach eine Haftung dem Grunde nach für gegeben, die Ansprüche gegen den Bekl. aber aufgrund der vorgerichtlichen Zahlungen für erfüllt. Ob und ggf. inwieweit die bereits erbrachten Zahlungen des Haftpflichtversicherers des Bekl. die Ansprüche auf Ersatz künftiger Schäden ausgeglichen haben, kann nur beurteilt werden, wenn die Haftungsquote des Bekl. für die Schäden des Kl. festgestellt ist.

[8] b) Die Berufung gegen das Urteil des LG durfte außerdem nicht zurückgewiesen werden, weil nach Auffassung des BG das Begehren des Kl. zumindest in Höhe der vorprozessualen Zahlung des Haftpflichtversicherers des Bekl. teilweise begründet gewesen ist, das LG den Anspruch des Kl. auf Erstattung der vorgerichtlichen Kosten aber insgesamt abgewiesen hat.

[9] 2. Auf der Grundlage der vom LG getroffenen Feststellungen lässt sich die Haftung des Bekl. nicht wegen eines überwiegenden Mitverursachungs- und Mitverschuldensbeitrages des Kl. verneinen. Dies rügt die Revision mit Recht (§ 286 ZPO).

[10] a) Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB ist allerdings grds. Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob dieser alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurt. v. 12.7.1988 – VI ZR 283/87, VersR 1988, 1238, 1239; v. 5.3.2002 – VI ZR 398/00, VersR 2002, 613, 615 f.; v. 25.3.2003 – VI ZR 161/02, VersR 2003, 783, 785 f.; v. 28.2.2012 – VI ZR 10/11, VersR 2012, 772 Rn 6 und v. 17.6.2014 – VI ZR 281/13, VersR 2014, 974 Rn 6 jeweils m.w.N.; BGH, Urt. v. 20.7.1999 – X ZR 139/96, NJW 2000, 217, 219 und v. 14.9.1999 – X ZR 89/97, NJW 2000, 280, 281 f.). Es darf nur schuldhaftes Verhalten verwertet werden, von dem feststeht, dass es zu dem Schaden oder zu dem Schadensumfang beigetragen hat (Senatsurt. v. 24.9.2013 – VI ZR 255/12, VersR 2014...

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