StGB § 69 Abs. 2 Nr. 2 § 142

Leitsatz

Die Grenze zum bedeutenden Schaden im Rahmen des § 69 StGB muss mit Blick auf die sich seit 2002 entwickelte und weiterhin entwickelnde Teuerungsrate für Reparaturen und die statistisch messbaren höheren Regulierungsschäden nach nunmehr 13 Jahren angehoben werden.

AG Tiergarten, Beschl. v. 15.5.2015 – (288 Gs) 3014 Js 2061/15 (48/15)

1 Aus den Gründen:

"Es besteht zwar weiterhin der Tatverdacht des unerlaubten Entfernens vom Unfallort gem. § 142 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 StGB. Jedoch liegen derzeit keine dringenden Gründe mehr für die Annahme vor, dass dem Beschuldigten durch Urteil die Fahrerlaubnis entzogen werden wird."

Denn die Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB sind nach aktuellem Kenntnisstand nicht erfüllt.

Es besteht kein dringender Tatverdacht mehr dahingehend, dass an fremden Sachen ein bedeutender Schaden verursacht wurde.

Ob ein “bedeutender Schaden‘ i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vorliegt, bemisst sich nach wirtschaftlichen Kriterien und beurteilt sich nach der Höhe des Betrags, um den das Vermögen des Geschädigten als direkte Folge des Unfalls gemindert wird.

Zwar sieht die Kommentarliteratur immer noch die Grenze zum bedeutenden Schaden für Schäden, die seit dem Jahr 2002 entstanden sind, bei einem Schadenswert von 1.300 EUR (vgl. nur Fischer, StGB, 62. Aufl., § 69 Rn 29). Jedoch muss diese Grenze mit Blick auf die seit 2002 entwickelte und sich weiterhin entwickelnde Teuerungsrate für Reparaturen und die statistisch messbaren höheren Regulierungsschäden nach nunmehr 13 Jahren angehoben werden (vgl. LG Landshut, Beschl. v. 24.9.2012 – 6 Qs 242/12, juris). Das LG Landshut setzt die Grenze im genannten Beschluss bei ca. 2.500 EUR, das AG Saalfeld (Urt. v. 14.9.2004 – 630 Js 2981/04 – 2 Ds jug, juris) hob die Grenze bereits im Jahr 2004 auf einen Wert von 1.500 EUR an. Die letztgenannte Grenze setzt auch das LG Lübeck in seiner Entscheidung vom 14.3.2014 zum Aktenzeichen 4 Qs 60/14 an. Laut dem hier zur Akte gereichten Gutachten ist an dem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … ein wirtschaftlicher Totalschaden entstanden. Der Wiederbeschaffungswert beträgt 1.500 EUR, der Restwert 100 EUR, so dass von einem Schaden i.H.v. 1.400 EUR auszugehen ist. Dieser Schaden wurde bereits in vollem Umfang reguliert, wobei die Ermittlungen auch ergaben, dass der gelbe Farbaufrieb an der Kunststoffabdeckung des Fahrzeugs … derzeit nicht mit dem hiesigen Vorfall in Einklang zu bringen ist, so dass der zu berücksichtigende Schaden ggf. noch etwas niedriger liegen könnte. An dem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … , das der Beschuldigte gefahren ist, konnten keine Schäden festgestellt werden, die zweifellos dem hiesigen Unfallereignis zuzuordnen wären. Ein bedeutender Fremdschaden i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB kann daher derzeit nicht mehr angenommen werden.

Hinzu kommt, dass der Beschuldigte – derzeit unwiderlegbar – nach einer kurzen Weiterfahrt mit dem Fahrzeug … anhielt und sowohl dieses Fahrzeug als auch das Fahrzeug … auf Schäden untersuchte und solche nicht feststellte. Er meldete den Unfall dennoch unverzüglich seinem Arbeitgeber.

Aufgrund der Gesamtumstände bestehen daher derzeit keine dringenden Gründe mehr für die Annahme, dass dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis entzogen werden wird.“

Mitgeteilt von RA Thomas Scheferling, Berlin

2 Anmerkung:

Der im Rahmen des § 69 StGB für das Regelbeispiel zu bestimmende "bedeutende Schaden" (allgemein dazu Krumm, NJW 2012, 829) wird zunächst nach objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmt, wobei der reine, zivilrechtlich zu erstattende Sachschaden maßgeblich ist (OLG Hamm NZV 2011, 356; OLG Dresden NZV 2006, 104). Der "bedeutende Schaden" ist eigenständig zu bemessen und ist nicht identisch mit dem "bedeutenden Wert" des § 315c StGB (BGH NStZ 2011, 215; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., 2013, § 69 StGB Rn 17). Die Grenze, wann von einem erheblichen Sachschaden im vorgenannten Sinne auszugehen ist, ist derzeit bei etwa 1.300 EUR anzusetzen (OLG Hamm, Beschl. v. 6.11.2014 – III-5 RVs 98/14, juris/Krenberger, jurisPR-VerkR 10/2015 Anm. 3; OLG Hamburg zfs 2007, 409; Burmann in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., 2014, § 69 StGB Rn 20), wobei es aber auch divergierende Entscheidungen nach unten und nach oben gibt (LG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2009, 215: 1.400 EUR; LG Lübeck, Beschl. v. 14.3.2014 – 4 Qs 60/14, juris/Krenberger, jurisPR-VerkR 16/2014 Anm. 5: 1.500 EUR; zuletzt LG Landshut DAR 2013, 588: 2.500 EUR).

Insgesamt erstaunt die Begründung der vorliegenden Entscheidung. Das AG Tiergarten hätte sich problemlos der Rspr. des einen oder anderen Gerichts anschließen können. Wenn die Entscheidung, die nicht einmal auf nachvollziehbar dargestellten zivilrechtlichen Schadenspositionen beruht, aber dann so formuliert wird, als ob mit ihr eine neue Etappe in der Wertgrenzenbildung bei § 69 StGB einhergehen würde, dann hätte da eine viel genauere Abgrenzung zu anderen Entscheidungen erfolgen müssen.

Zudem fehlt jeder ...

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