[14] "… 1. Nicht zu beanstanden ist freilich die Annahme des BG, dass die beklagte Stadt die ihr obliegende winterliche Räum- und Streupflicht verletzt habe."

[15] Vorliegend ist zwischen den Parteien im Kern unstreitig, dass aufgrund der vorangegangenen Schneefälle an der für den Fußgängerverkehr bedeutsamen Unfallstelle zum Unfallzeitpunkt geräumt beziehungsweise gestreut sein musste. Streitig ist, ob und inwieweit die Bediensteten der Bekl. dieser Pflicht ordnungsgemäß nachgekommen sind.

[16] Die tatrichterliche Würdigung, aufgrund der Aussagen der Zeugen R stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Bekl. ihre Räum- und Streupflicht nur unzureichend erfüllt habe, lässt keine Rechtsfehler erkennen. Die Revision nimmt dies als ihr günstig hin. Die Gegenrüge der Revisionsbeklagten, das BG habe zu ihrem Nachteil die Grundsätze des Anscheinsbeweises verkannt, bleibt ohne Erfolg. Das BG ist zwar zunächst rechtsfehlerhaft von einem Anscheinsbeweis für eine Verletzung der Streupflicht im Falle eines Unfalls innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streupflicht ausgegangen. Demgegenüber besteht nach der Rspr. des BGH bei feststehender Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht lediglich ein Anscheinsbeweis dafür, dass es ohne die Pflichtverletzung nicht zu einem Unfall gekommen wäre, dass mithin die Pflichtverletzung ursächlich für das Schadensereignis geworden ist (Senat, Beschl. v. 26.2.2009 – III ZR 225/08, NJW 2009, 3302 Rn 5 und v. 19.12.1991 – III ZR 2/91, BGHR, BGB § 839 Abs. 1 S. 1 – Streupflicht 7; BGH, Urt. v. 14.12.1993 – VI ZR 271/92, NJW 1994, 945, 946; so auch das von dem BG zitierte Urteil des OLG Hamm v. 15.10.2004, VersR 2006, 134, 135; vgl. ferner Palandt/Sprau, BGB, 72. Aufl., § 823 Rn 80 f.). Ein Anscheinsbeweis für die Pflichtverletzung selbst kann hingegen nicht schon dann angenommen werden, wenn es innerhalb der räumlichen und zeitlichen Grenzen der Räumpflicht zu einem Unfall gekommen ist. Insofern verbleibt es vielmehr bei der Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten für die Pflichtverletzung.

[17] Die tatrichterlichen Feststellungen tragen jedoch auch auf der Grundlage der Beweislast der Kl. für die Verletzung der Räum- und Streupflicht durch die Bekl. den entsprechenden Vollbeweis. Die Würdigung des BG, aufgrund der glaubhaften Aussagen der Zeugen R stehe fest, dass zum Unfallzeitpunkt im Bereich der Unfallstelle mindestens noch 3 bis 4 cm Schneematsch gelegen habe, die von den Zeugen H und L geschilderten Winterdienstmaßnahmen seien demnach jedenfalls unzureichend gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

[18] 2. Zu Recht allerdings beanstandet die Revision die Auffassung des BG, der Anteil der Mitverursachung der Kl. an dem von ihr erlittenen Unfall lasse den Anteil der Bekl. vollständig in den Hintergrund treten, so dass die Kl. für die Schadensfolgen allein einzustehen habe.

[19] a) Die Abwägung der Verantwortlichkeiten zwischen den Parteien eines Schadensersatzanspruchs im Rahmen der Prüfung eines Mitverschuldens (§ 254 BGB) unterliegt gem. § 287 ZPO einem weiten tatrichterlichen Entscheidungsspielraum und ist vom Revisionsgericht nur darauf hin zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände richtig und vollständig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind, hierbei insb. nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen worden ist (s. etwa BGH, Urt. v. 8.7.1986 – VI ZR 47/85, BGHZ 98, 148, 158; Senat, Urt. v. 11.1.2007 – III ZR 116/06, NJW 2007, 1063 Rn 7; v. 10.5.2007 – III ZR 115/06, NJW 2007, 3211 Rn 7; v. 16.7.2009 – III ZR 21/09, NJW-RR 2009, 1688 Rn 16 und v. 5.7.2012 – III ZR 240/11, VersR 2012, 1434 Rn 18). Eine vollständige Überbürdung des Schadens auf einen Beteiligten im Rahmen von § 254 BGB kommt allerdings nur ausnahmsweise in Betracht (BGH, Urt. v. 21.2.1995 – VI ZR 19/94, NJW-RR 1995, 857, 858; Senat, Urt. v. 10.5.2007 a.a.O.).

[20] b) Daran gemessen ist die Entscheidung des BG nicht frei von Rechtsfehlern.

[21] aa) Das BG ist – auf der Grundlage des Klägervortrags und der Zeugenaussagen – davon ausgegangen, es habe an der Unfallstelle Schneematsch zumindest in einer Höhe von drei bis vier cm gelegen, der eine enorme Glätte zur Folge gehabt habe. Es habe eine erhöhte Sturzgefahr bestanden. Vor diesem Hintergrund ist das BG von einem Mitverschulden der Kl. an der von ihr erlittenen Verletzung ausgegangen, da sie ohne zwingende Notwendigkeit sich dennoch der von ihr erkannten Gefahr ausgesetzt habe. Diese tatrichterliche Würdigung ist nach den vorstehenden Maßstäben revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Revision nimmt die Annahme eines Mitverschuldens der Kl. durch das BG hin.

[22] bb) Ausgehend hiervon hat das BG jedoch den Mitverantwortungsanteil der Kl. an dem Unfall deutlich zu hoch angesetzt. Es hat insb. verkannt, dass die Bekl. mit der – vom BG angenommenen – Verletzung der ihr obliegenden Räum- und Streupflicht die maßgebliche Ursache für den Sturz der Kl. gesetzt hat.

[23] (1) All...

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