SGB VII § 106 Abs. 3, Alt. 3

Erleidet ein bei einem Drittunternehmen angestellter Testfahrer vor Beginn seiner Tätigkeit auf dem Versuchsgelände eines Automobilherstellers einen Glatteisunfall, ist eine Haftung nicht wegen des Vorliegens einer gemeinsamen Betriebsstätte zwischen dem Geschädigten und Mitarbeitern des Automobilherstellers oder des von ihm beauftragten Winterdienstes ausgeschlossen.

BGH, Urt. v. 8.6.2010 – VI ZR 147/09

Der Kläger verlangt von der beklagten Aktiengesellschaft, einem Automobilhersteller, Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz wegen eines Unfalls, den er auf dem Versuchsgelände der Beklagten erlitten hat.

Der Kläger ist bei der Firma T GmbH & Co. KG (im Folgenden T) angestellt, die durch ihre Mitarbeiter seit etwa 15 Jahren auf dem Versuchsgelände der Beklagten Testfahrten mit von der Beklagten hergestellten Fahrzeugen durchführen lässt. Die Testfahrten dienen dazu, die Fahrzeuge technisch zu überprüfen und zu verbessern und die weitere Entwicklung der Technik zukünftig herzustellender Fahrzeuge auf der Grundlage der von der Firma T. festgestellten Testergebnisse voranzutreiben.

Am 19.1.2006 hatte der Kläger seinen Pkw vor dem Gelände abgestellt und sich zu Fuß auf das Testgelände begeben, um den Einsatzraum seiner Arbeitgeberin aufzusuchen. Auf dem Wege dorthin kam er infolge Glatteises zu Fall, wodurch sein rechtes Knie erheblich verletzt wurde. Die für seinen Beschäftigungsbetrieb zuständige Berufsgenossenschaft hat den Unfall als einen nach § 8 Abs. 1 SGB VII versicherten Arbeitsunfall anerkannt.

Die Beklagte hatte den ihr obliegenden Winterdienst (Räum- und Streupflichten) in dem Bereich, in dem der Kläger zu Fall gekommen ist, vertraglich an die Streithelferin zu 1) delegiert, die ihrerseits den Streithelfer zu 2) mit der Erfüllung dieser Verpflichtungen beauftragt hatte.

Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers wurde vom LG zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Aus den Gründen:

[6] "I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Urteil in juris veröffentlicht ist, ist eine Haftung der Beklagten sowohl hinsichtlich eines eigenen Tuns bzw. Unterlassens als auch hinsichtlich einer Haftung für die Streithelfer als Verrichtungsgehilfen ausgeschlossen."

[7] Eine Haftung für eigenes Tun oder Unterlassen sei gem. § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII ausgeschlossen, weil es sich bei dem Versuchsgelände um eine gemeinsame Betriebsstätte zwischen der Beklagten und dem Kläger handele und das Haftungsprivileg nicht nur für die Mitarbeiter des Unternehmers, sondern auch für den Unternehmer selbst gelte. Die Beklagte träfen als Betreiberin des Testgeländes bestimmte Verkehrssicherungspflichten, wozu auch die Streupflicht gehöre. Sie entfalte auf dem Betriebsgelände entsprechende Aktivitäten jedenfalls dadurch, dass sie das Gelände kontrolliere und ggf. Subunternehmer zur Beseitigung von Eis und Schnee einsetze. Diese Maßnahmen griffen mit der Tätigkeit des Klägers bewusst und gewollt ineinander.

[8] Eine Haftung der Beklagten für die mit dem Winterdienst beauftragten Streithelfer als Verrichtungsgehilfen sei nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs ausgeschlossen. Die Voraussetzungen des § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII seien im Verhältnis zwischen den Streithelfern und dem Kläger gegeben. Die Streithelfer würden tätig, um dem Kläger ein gefahrloses Betreten des Betriebsgeländes zu ermöglichen. Auch die Tätigkeit des Klägers weise einen Bezug zur Tätigkeit der Streithelfer auf, weil der Kläger beim Betreten des Geländes auf Räumarbeiten Rücksicht nehmen müsse und diese nicht gefährden dürfe. Das dadurch gegebene Haftungsprivileg der Streithelfer komme der Beklagten zu Gute.

[9] II. Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand, weil eine – aus seiner Sicht mit Recht nicht näher geprüfte – Haftung der Beklagten aus Verletzung der Verkehrssicherungspflicht weder wegen des Bestehens einer gemeinsamen Betriebsstätte zwischen der Beklagten und dem Kläger noch nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses ausgeschlossen ist.

[10] 1. Soweit das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten für eigenes Tun oder Unterlassen gem. § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII als ausgeschlossen ansieht, weil das Haftungsprivileg nicht nur für die Mitarbeiter des Unternehmers, sondern auch für den Unternehmer selbst gelte, entspricht dies bereits im Ansatz nicht der Rspr. des erkennenden Senats. Nach gefestigter Rspr. kommt dieses Haftungsprivileg nur dem versicherten Unternehmer zu Gute, der selbst auf einer gemeinsamen Betriebsstätte eine vorübergehende betriebliche Tätigkeit verrichtet und dabei den Versicherten eines anderen Unternehmens verletzt (vgl. Senatsurteile BGHZ 148, 209, 212 f.; 148, 214, 216 ff.; 155, 205, 209; 157, 9, 14; 157, 213, 216; 177, 97 Rn 11; vom 14.6.2005 – VI ZR 25/04 – VersR 2005, 1397, 1398). Demnach besteht eine Haftungsprivilegierung der Beklagten scho...

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