[32] I. Die Berufung und die Anschlussberufung sind zulässig. Sie haben indes keinen Erfolg.

[33] 1. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg, soweit sie sich dagegen wendet, dass das Landgericht ihm Verdienstausfall für nur 2 ½ Monate und nicht für die gesamte Zeit der Krankschreibung bis zum 14.9.2020 zugesprochen hat.

[34] 1.1 Der nach §§ 249 ff., 842, 843 BGB (bzw. § 11 StVG) zu ersetzende Erwerbsschaden umfasst zwar nicht nur den Verlust des Einkommens, sondern alle wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, die der Geschädigte erleidet, weil er seine Arbeitskraft verletzungsbedingt nicht verwerten kann (Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 13. Aufl., Rn 41; Jahnke/Burmann, Hdb. Personenschadensrecht, 2. Aufl., 3. Kap., Rn 440; Burmann/Jahnke, DAR 2020, 503).

[35] Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts, die mit der Berufung auch nicht angegriffen werden, war aber aufgrund der Verletzungen eine Krankschreibung von nur vier Monaten unfallbedingt gerechtfertigt. Unter Berücksichtigung, dass der Kläger für 6 Wochen Entgeltfortzahlung erhielt, war ihm daher lediglich Verdienstausfall für weitere 2 ½ Monate i.H.v. 352,73 EUR zuzusprechen.

[36] 1.2 Ein Anspruch auf weiteren Verdienstausfall für den weiteren Zeitraum der Krankschreibung bis einschließlich 14.9.2020 besteht hingegen nicht. Denn auch bei berechtigtem Vertrauen auf die objektiv falsche Krankschreibung liegt gegen den Schädiger ein erstattungsfähiger Schadensersatzanspruch des Geschädigten nicht vor (Küppersbusch/Höher, a.a.O. Rn 106).

[37] Gegenteiliges lässt sich auch nicht aus den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 16.10.2001 (Az.: VI ZR 408/00, MDR 2002, 29, 30) und vom 23.6.2020 (Az.: VI ZR 435/19, VersR 2021, 1497, 1499 f. Tz. 21) herleiten. Gegenstand beider Klagen waren Schadensersatzansprüche der Arbeitgeber der jeweils Geschädigten auf Erstattung gezahlten Lohnes, wobei die Zahlung in dem Fall, der der Entscheidung vom 16.10.2001 zugrunde lag, aufgrund vertraglicher Vereinbarung, und in dem Fall, der der Entscheidung vom 23.6.2020 zugrunde lag, auf der Grundlage des Entgeltfortzahlungsgesetzes erfolgte. In den Entscheidungen hat zwar der Bundesgerichtshof jeweils ausgeführt, dass dem Arbeitnehmer, der berechtigterweise auf die ihm bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vertraut und deshalb nicht arbeitet, hierdurch ein ersatzfähiger normativer Schaden in Höhe des Gehalts entsteht. Hieraus folgt aber nicht ohne Weiteres, dass dem Geschädigten der Verdienstausfall unabhängig davon, ob die Arbeitsunfähigkeit kausal auf den Unfall zurückzuführen war, vom Schädiger allein deswegen zu erstatten ist, weil der Geschädigte – wie hier der Kläger – auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arztes berechtigterweise vertraute und deswegen nicht arbeitete.

[38] Insoweit ist die getroffene Feststellung des Bundesgerichtshofs im Zusammenhang der Urteile zu sehen. In beiden Entscheidungen erfolgten die Feststellung zum Schaden im Rahmen von Hinweisen an die Instanz, an die der Rechtsstreit zurückverwiesen wurden, unter dem Gesichtspunkt, dass der Beweismaßstab nach § 287 ZPO eröffnet ist. In der Entscheidung vom 23.6.2020 hat der Bundesgerichtshof zunächst darauf hingewiesen, dass der Forderungsübergang gemäß § 6 EFZG voraussetze, dass dem geschädigten Arbeitnehmer aufgrund gesetzlicher Vorschriften von dem Schädiger Schadensersatz wegen des Verdienstausfalls beanspruchen könne, der ihm durch die Arbeitsunfähigkeit entstanden ist, und der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz Arbeitsentgelt fortgezahlt habe. Der Arbeitgeber habe daher außer der Entgeltfortzahlung darzulegen und zu beweisen, dass dem geschädigten Arbeitnehmer gegen den Schädiger ein Anspruch auf Ersatz des (normativen) Verdienstausfallschadens aus § 823 Abs. 1 BGB oder § 7 Abs. 1, § 11 Satz 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 VVG zustehe. Es würden insoweit keine anderen Grundsätze gelten, als wenn der Geschädigte seinen Schadensersatzanspruch selbst geltend machen würde (BGH, VersR 2021, 1497, 1498 Tz. 10).

[39] In seinem in der Entscheidung vom 16.10.2001 gegebenen Hinweis (BGH, VersR 2021, 1497, 1499 f. Tz. 21) hat der Bundesgerichtshof zunächst ausgeführt, dass für die Frage, ob die Beschwerden zur krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und damit zum (normativen) Verdienstausfallschaden führten (haftungsausfüllende Kausalität), das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO gelte. Dabei werde der Tatrichter zu berücksichtigen haben, dass er den Beweis, es habe ein krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorgelegen, normalerweise als erbracht ansehen könne, wenn eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliege, und dass dem Arbeitnehmer, der berechtigterweise auf die ihm bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vertraue und deshalb nicht arbeite, hierdurch ein ersatzfähiger normativer Schaden entstehe. Bereits nach dem Wortlaut ergibt sich, dass Voraussetzung für den zu erstattenden (normativen) Verdienstausfall ist, die Arbeitsunfähigkeit ...

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