Einige Zeit vor Erlass des zweiten Beschlusses des I. ZS des BGH[12] hatte der III. ZS des BGH in seinem Beschl. v. 25.2.2016[13] ebenfalls auf einen rein objektiven Maßstab abgestellt und die Auffassung vertreten, es komme auf die – auch unverschuldete – Unkenntnis der Partei oder ihres Rechtsanwalts von den maßgeblichen Umständen nicht an. Die Kernaussage der Entscheidung des III. ZS des BGH ergibt sich aus dem amtlichen Leitsatz:

Zitat

"1. Notwendig i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO sind nur Kosten für solche Maßnahmen, die im Zeitpunkt ihrer Vornahme objektiv erforderlich und geeignet zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erscheinen. Das ist vom Standpunkt einer verständigen und wirtschaftlich vernünftigen Partei aus zu beurteilen, wobei grds. auf den Zeitpunkt der Vornahme der kostenverursachenden Handlung abzustellen ist und es auf die – auch unverschuldete – Unkenntnis der Partei oder ihres Rechtsanwalts von den maßgeblichen Umständen nicht ankommt (Bestätigung und Fortführung des Senatsbeschlusses vom 26.1.2006, III ZB 63/05, BGHZ 166, 117)."

2. Die durch die Einreichung einer Berufungserwiderung nach Berufungsrücknahme entstandenen Kosten eines Rechtsanwalts sind auch dann nicht erstattungsfähig, wenn der Berufungsbeklagte die Rechtsmittelrücknahme nicht kannte oder kennen musste (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 23.11.2006, I ZB 39/06, NJW-RR 2007, 1575).“

Dem Rechtsanwalt des Klägers bzw. Rechtsmittelbeklagten hat der BGH noch den guten Rat auf den Weg gegeben, eine etwaig bestehende Ungewissheit, ob die Klage/das Rechtsmittel eventuell bereits zurückgenommen worden sei, könne durch eine (ggf. telefonische) Nachfrage bei Gericht rasch und problemlos geklärt werden. Diese Aussage zeigt, dass die Kollegen vom BGH von der Praxis doch ein weites Stück entfernt sind. Angesichts der knappen Personalausstattung der Gerichte sind die Geschäftsstellen heutzutage nicht immer durchgängig besetzt. Beim LG Berlin haben etwa die Geschäftsstellenmitarbeiter auch des Öfteren den Protokolldienst wahrzunehmen, sodass die jeweiligen Geschäftsstellen häufig mehrere Stunden telefonisch nicht erreichbar sind. Für Urlaubs- und Krankheitsfälle sind vielfach personell keine Vertretungen vorgesehen. Rechtsanwälte haben mir berichtet, dass so manche Geschäftsstelle lediglich per Anrufbeantworter erreichbar ist. Diese Anrufbeantworter so umzuprogrammieren, dass sie auch Anfragen nach dem Eingang von bestimmten Schriftsätzen bearbeiten können, dürfte nicht einfach sein.

Kurz und gut, in der Praxis stellt es eher den Ausnahmefall dar, den zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiter kurzfristig telefonisch zu erreichen. Diesen muss man dann auch noch dazu zu bewegen, die betreffende Sachakte zur Hand zu nehmen und nach etwaigen Rücknahmeschreiben zu durchsuchen. Dies ist dann praktisch nicht möglich, wenn die Sachakten dem Richter vorliegen oder sonst im Geschäftsgang sind. Selbst wenn der Rechtsanwalt im Ausnahmefall eine telefonische Auskunft des Geschäftsstellenmitarbeiters erhielte, in den Gerichtsakten befände sich kein Rücknahmeschriftsatz, hätte er gleichwohl keine hundertprozentige Gewissheit. Denn während des Telefonats oder auch Stunden zuvor könnte bei der Posteingangsstelle des Gerichts per Telefax gerade ein Rücknahmeschriftsatz eingegangen sein, der noch nicht zu den Akten oder zur Geschäftsstelle gelangt ist.

Bei einer positiven Auskunft der Geschäftsstelle, es läge in der Sache ein Rücknahmeschriftsatz vor, müsste der Prozessbevollmächtigte des Beklagten oder Rechtsmittelbeklagten in Ansehung der Entscheidung des BGH auf das Einreichen eines Zurückweisungsantrags verzichten. Denn wenn der Rechtsanwalt in der Diktion des III. ZS des BGH objektiv nicht notwendige Tätigkeiten ausübt, macht er sich gegenüber seinem Mandanten schadensersatzpflichtig, wenn er schuldhaft handelt. Was ist aber, wenn die Auskunft falsch war, weil etwa der Rücknahmeschriftsatz ein ganz anderes Verfahren betroffen hat? Auch dann macht sich der Rechtsanwalt ggf. schadensersatzpflichtig. Um den sichersten Weg zu beschreiten, müsste der Prozessbevollmächtigte jedes Mal zu Gericht fahren und Akteneinsicht nehmen. Dies betrifft natürlich nicht nur die Fälle einer Klage- oder Rechtsmittelrücknahme, sondern gilt für den Anwalt jedes Antragsgegners, Beklagten oder Rechtsmittelbeklagten. Folglich muss auch der BGH-Anwalt künftig vor Einreichen des Revisionszurückweisungsantrags oder auch des Rechtsbeschwerdezurückweisungsantrags beim BGH anrufen, ob das betreffende Verfahren nicht etwa durch Rücknahme oder Sachentscheidung des Senats bereits erledigt ist.

Die kurze Nachfrage bei Gericht müsste der mit der Vertretung im gerichtlichen Verfahren beauftragte Rechtsanwalt in Anwendung der Rechtsprechung des I. und III. ZS des BGH im Übrigen auch durchführen, bevor er den Auftrag entgegennimmt. Denn durch die Information, die regelmäßig in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Auftragserteilung erfolgt, fällt nach Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG die Verfahrensgebühr an, d...

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