Die Entscheidung des saarländischen Verfassungsgerichtshofes vom 5.7.2019 ist zu begrüßen.

Sie setzt konsequent die Linie fort, welche bereits aus der Entscheidung vom 27.4.2018 zum Anspruch auf Einsicht in die Messdaten im gerichtlichen Verfahren deutlich geworden ist.

Aber zurück zur Entscheidung: Das standardisierte Messverfahren an sich wird vom Verfassungsgericht nicht angegriffen. In der Entscheidung findet sich der zutreffende Satz, dass Messergebnisse eines standardisierten Messverfahrens keine normativ bindende Kraft haben. Sie stellen – ähnlich antizipierten Sachverständigengutachten – eine belastbare wissenschaftliche Grundlage einer Verurteilung dar, erzwingen sie allerdings nicht.

Ich teile daher die Auffassung des Verfassungsgerichtes, dass eine Verurteilung nicht allein von dem Ergebnis einer standardisierten Messung abhängig sein darf und es einem Betr. gestattet sei, die Validität der standardisierten Messung zu prüfen und damit eine effektive Verteidigung durchzuführen.

Aus dem Verfahrensgang im Saarland wird deutlich, dass in der Hauptverhandlung beim AG ein Beweisantrag der Verteidigung deswegen abgelehnt worden ist, weil er zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich war.

Deswegen der Hinweis darauf, dass die Verteidigung klug beraten sein dürfte, die Argumentationslinien breiter aufzustellen. Neben einem solchen Beweisantrag sollte die Verteidigung bereits bei der Verwaltungsbehörde und noch einmal vor dem AG einen Antrag auf Einsicht in die nicht bei den Akten befindlichen weiteren amtlichen Messunterlagen stellen und bei Erfolglosigkeit in der Hauptverhandlung darauf dringen, dass das Gericht über einen Aussetzungsantrag der Verteidigung durch Beschluss gem. § 238 II StPO entscheidet. Das kann dann eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung i.S.v. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 338 Nr. 8 StPO darstellen.

Aber die Entscheidung aus dem Saarland steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH zum standardisierten Messverfahren. Der BGH hat in seiner Grundsatzentscheidung hierzu im Beschl. v. 19.8.1993 (4StR 627/92) ausgeführt, dass kein Erfahrungssatz dahingehend besteht, dass die gebräuchlichen Geschwindigkeitsmessgeräte unter allen Umständen zuverlässige Ergebnisse liefern. Im standardisierten Messverfahren sei den jeweiligen nach technisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen möglichen Fehlerquellen durch die Berücksichtigung von Messtoleranzen Rechnung zu tragen. Weiter verweist der BGH darauf, dass über die Toleranzen hinaus der Richter sich nur dann von der Zuverlässigkeit der Messung überzeugen muss, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind.

Also geht der BGH in seiner Grundsatzentscheidung davon aus, dass solche Messfehler durchaus möglich sind. In der dort weiterverwiesenen Entscheidung des BGH vom 20.12.1978 (BGHSt 28, 235 ff.) findet sich zum Schluss der Entscheidung erneut der Hinweis des BGH auf weitere Überprüfung:

Im Rahmen der Blutalkoholanalyse genüge es dem tatrichterlichen Urteil, wenn es den auf den Einzelanalysen gewonnenen Mittelwert der Blutprobe enthält. Sollte allerdings der Tatrichter Zweifel an der Richtigkeit des mitgeteilten Ergebnisses haben, so hat er diese zu klären. Auch hier also ein klarer Hinweis darauf, dass es sehr wohl eine weitergehende Aufklärungspflicht dann gibt, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit gegeben sind. Das sollten einige OLGs einmal zur Kenntnis nehmen.

Wenn jetzt mangels einer möglichen, aber im konkreten Fall nicht erfolgten Datenspeicherung die Überprüfung der Messung nicht möglich ist, ist es richtig, sich nicht auf ein standardisiertes Verfahren zurückzuziehen.

Die einzig richtige Konsequenz ist dann die Feststellung der Rechtsverletzung und die Aufhebung eines entsprechenden Urteils. Ansonsten würde der Betr. zum bloßen Objekt staatlichen Handelns degradiert, weil er das standardisierte Messverfahren als quasi "gesetzt" hinnehmen müsste. Wenn das nach der Rechtsprechung nicht sein soll, dann ist bei fehlender Möglichkeit der Einflussnahme auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens unter dem Stichwort "Black Box" i.S.d. Rechtsstaatlichkeit die fehlende Verwertung der Messung hinzunehmen.

Die Hersteller haben es in der Hand, durch Schaffung entsprechender Speichermöglichkeiten für eine Überprüfbarkeit Sorge zu tragen.

Trotzdem wird der BGH sich in einer künftigen Entscheidung dann auch mit der Frage einer obergerichtlichen Klärung des Rechtes auf Akteneinsicht und Überprüfung der Messung auseinandersetzen müssen. Hieran fehlt es bislang, so dass die Entscheidung des saarländischen Verfassungsgerichtshofes bislang nur juristische Geltung für das Saarland erlangt.

Es wäre daher zu begrüßen, dass endlich ein OLG den Mut zur Vorlage nach § 121 Abs. 2 GVG an den BGH findet.

In diesem Zusammenhang ist die Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 16.7.2019 (Az: 1Rb 10 Ss 291/19) zu begrüßen. Es folgt nicht nur der zutreffenden Linie der OLG Naumburg DAR 2013, 37; OLG Brandenburg StraFo 2017, 31; OLG Jena NJW 201...

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