GG Art. 103 I; ZPO § 137 Abs. 3 § 139 § 253 Abs. 2

Leitsatz

1. Gerichte sind nicht verpflichtet, umfangreiche ungeordnete Anlagenkonvolute von sich aus durchzuarbeiten, um so die erhobenen Ansprüche zu konkretisieren. Nimmt der Kl. zur Substanziierung seines Anspruchs allerdings auf eine aus sich heraus verständliche (und im Streitfall nicht einmal eine Seite umfassende) Darstellung in den Anlagen konkret Bezug und verlangt die Berücksichtigung der in Bezug genommenen Anlage vom Tatrichter keine unzumutbare Sucharbeit, so liegt eine solche Fallgestaltung nicht vor (Fortführung BGH NJW-RR 2004, 639 [640]).

2. Zu einem Gehörsverstoß wegen unterbliebener Berücksichtigung einer konkret in Bezug genommenen Anlage.

BGH, Beschl. v. 2.10.2018 – VI ZR 213/17

Sachverhalt

Die Kl. nimmt die beklagte Haftpflichtversicherung aus einem Verkehrsunfall auf weiteren Schadensersatz in Anspruch. Die in voller Höhe eintrittspflichtige Bekl. leistete nach vorangegangenen Verhandlungen an die bei dem Unfall schwerstverletzte Kl. Betreuungsaufwand, Haushaltsführungsschadensersatz, Ausgleich des Verdienstausfalls sowie eine monatliche Rente von 900 EUR wegen vermehrter Bedürfnisse. Weiterhin zahlte die Bekl. rückwirkend für die Zeit von Januar 2009 bis zum Juli 2004 einen Betrag von 60.300 EUR.

Die Kl. macht in der Hauptsache mit Klageantrag 1 – soweit im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren noch von Interesse – weiteren Schadensersatz für Haushaltsführungsschäden, vermehrte Bedürfnisse, Verdienstausfall und Fahrtkosten i.H.v. 90.532,65 EUR geltend. Zudem verlangt sie – soweit im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren noch von Relevanz – monatliche Renten wegen des Haushaltsführungs- und Verdienstausfallschadens i.H.v. 313,33 EUR ab dem 1.1.2014 bzw. i.H.v. 513,33 EUR (Klageantrag 3) ab dem 1.1.2016, wegen weiterer vermehrter Bedürfnisse ab dem 1.1.2014 i.H.v. weiteren 626,28 EUR (Klageantrag 2) sowie wegen der betreuungsbedingten Rentenminderung ihrer Mutter i.H.v. weiteren 534,75 EUR ab dem 1.1.2014 (Klageantrag 4).

Das LG hat die Klage abgewiesen. Das KG hat die Berufung dagegen durch einen Beschluss nach § 522 II ZPO zurückgewiesen. Das KG ging zur Begründung seiner Entscheidung davon aus, die Kl. habe die zur Berechnung der vermehrten Bedürfnisse und des Haushaltsführungsschadens erforderlichen Angaben nicht schlüssig dargelegt. In einer Anlage zur Klageschrift hatte die Kl. eine von ihrer Mutter gefertigte Aufstellung vorgelegt, der sich auf weniger als einer Seite der Tagesablauf der Kl. vor dem Unfallereignis bei der Haushaltstätigkeit entnehmen ließ. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kl. hatte Erfolg.

2 Aus den Gründen:

"… [4] II. 1. Das BG hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, die Kl. habe weder die den geltend gemachten vermehrten Bedürfnissen zugrunde liegende Berechnung schlüssig vorgetragen, noch ihren Haushaltsführungsschaden, die angeblichen Fahrtkosten oder den geltend gemachten Verdienstausfall schlüssig dargelegt. Der behauptete Rentenschaden der Mutter der Kl. sei nach § 843 I BGB zwar grds. ersatzfähig; auch hier fehle es aber hinsichtlich der Höhe an hinreichend substanziiertem Vortrag."

[5] 2. Diese Ausführungen verletzen die Kl. – wie die Nichtzulassungsbeschwerde zutreffend rügt – in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Einen entscheidungserheblichen Gehörsverstoß zeigt die Nichtzulassungsbeschwerde dabei jedenfalls in Bezug auf die Annahme des BG auf, die Kl. habe keinen Anspruch auf Erstattung des von ihr als weiteren Haushaltsführungsschaden geltend gemachten Betrags.

[6] a) Art. 103 I GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags einer Partei haben (st. Rspr., vgl. nur Senat NJW-RR 2018, 1149 = MDR 2018, 883 Rn 6). Lässt ein Gericht den Vortrag einer Partei unberücksichtigt, ohne dass dies im Prozessrecht eine Stütze findet, verletzt es damit deren Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. etwa BGH NJW-RR 2014, 456 Rn 12, m.w.N.). Hiervon ist im Streitfall jedenfalls in Bezug auf den von der Kl. geltend gemachten und vom BG verneinten Anspruch auf Ersatz weiteren Haushaltsführungsschadens auszugehen.

[7] aa) Das BG vertritt insoweit die Auffassung, der Vortrag der Kl. sei nicht hinreichend substanziiert, weil sie nicht vorgetragen habe, welche konkreten Arbeiten im Haushalt neben entsprechender Zeitanteile sie vor dem Unfall verrichtet habe. Die von der Kl. bereits erstinstanzlich als Anlage K09 vorgelegte Aufstellung ihrer Mutter zu ihrer Lebenssituation vor dem Unfall, die die Kl. in der Berufungsbegründung auch zur Darlegung des Haushaltsführungsschadens konkret in Bezug genommen hat, erwähnt es in diesem Zusammenhang nicht, obwohl es sich um den insoweit zentralen Vortrag der Kl. handelt. Grund hierfür ist offensichtlich, dass das BG – wie es in anderem Zusamm...

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