ZPO § 91 § 103 § 104; VV RVG Vorbem. 3 Abs. 2, Nr. 1008, 3200, 3201

Leitsatz

1. Die Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr im Berufungsverfahren setzt einen auf die Vertretung gerichteten Auftrag und eine Tätigkeit im Berufungsverfahren voraus. Dies wird nicht durch die Bitte an den Gegner in Frage gestellt, sich noch nicht zu bestellen.

2. Die 1,6-Verfahrensgebühr ist – unabhängig von der Frage ihres Anfalls – nur dann zu erstatten, wenn die Antragstellung im Berufungsverfahren zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlich war. Dies ist vor Antragstellung und Berufungsbegründung durch den Berufungsführer regelmäßig nicht der Fall.

OLG Koblenz, Beschl. v. 21.3.2017 – 14 W 118/17

Sachverhalt

Die Bekl. hatte gegen das den beiden Kl. günstige Urt. des LG Trier Berufung zur Fristwahrung eingelegt, ohne einen Berufungsantrag zu stellen und die Berufung zu begründen. Hieraufhin hat der Prozessbevollmächtigte der Kl. mit Schriftsatz v. 15.8.2016 deren Vertretung auch im Berufungsverfahren angezeigt und die Zurückweisung der Berufung der Bekl. beantragt. Der weitere Verlauf des Berufungsverfahrens wird in den Beschlussgründen nicht mitgeteilt. Aus der Erörterung der erstattungsrechtlichen Fragen kann jedoch geschlossen werden, dass die Bekl. ohne Einreichen eines Berufungsantrags und einer Berufungsbegründung ihre Berufung wieder zurückgenommen hat und ihr die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt worden sind.

Im Kostenfestsetzungsverfahren hat der Rechtspfleger des LG Trier auf Antrag der Kl. – soweit hier von Interesse – eine nach Nr. 1008 VV RVG erhöhte 1,9 Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG gegen die Bekl. festgesetzt. Mit ihrer hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde wendet sich die Bekl. gegen die Festsetzung der gesamten außergerichtlichen Kosten der Kl. Sie macht geltend, die Einschaltung eines Berufungsanwalts sei nicht notwendig gewesen, weil sie den Prozessbevollmächtigten der Kl. gebeten habe, sich nicht bei dem Berufungsgericht zu bestellen. Diese Bitte haben die Kl. bestritten.

Die sofortige Beschwerde der Bekl. hatte beim OLG Koblenz zum Teil Erfolg.

2 Aus den Gründen:

" … Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Die Verfahrensgebühr für den Bevollmächtigten der Kl. und Berufungsbeklagten war nicht nach Nr. 3200 VV RVG, sondern nur nach Nr. 3201 VV RVG zu bemessen."

1. Mit dem LG ist davon auszugehen, dass den Kl. die Gebühren für die Vertretung durch ihren Bevollmächtigten im Berufungsverfahren dem Grunde nach zu erstatten sind. Voraussetzung für den Anfall der Verfahrensgebühr ist ein auf die Vertretung im Berufungsverfahren lautender Auftrag – den die Bekl. nicht in Abrede stellt – und eine Tätigkeit im Berufungsverfahren, die mit der Bestellung als Prozessbevollmächtigte der Kl. und Berufungsbeklagten aktenkundig ist.

Die Bekl. kann nicht damit gehört werden, sie habe den Bevollmächtigten der Kl. gebeten, sich nicht bei dem BG zu bestellen. Dies ist zum einen bestritten und nicht glaubhaft gemacht (§ 104 Abs. 2 S. 1 ZPO), lässt aber zum anderen auch die Frage unberührt, ob und in welchem Umfang ein Vertretungsauftrag bereits erteilt und das Geschäft schon betrieben wurde. Die Partei kann in der Regel nicht selbstständig beurteilen, wie auf die Berufung in der hier eingelegten Form sachgerecht zu reagieren ist, so dass ein hierauf gerichteter Prüfungs- und Vertretungsauftrag hinzunehmen ist.

2. Entgegen der Auffassung des LG liegen allerdings die Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit einer 1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG nebst Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG, insg. also einer 1,9 Verfahrensgebühr nicht vor. Vielmehr ist lediglich eine 1,1 Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV RVG nebst Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG, insg. also nur eine 1,4 Verfahrensgebühr i.H.v. 638,40 EUR, erstattungsfähig.

Die 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV-RVG entsteht im Berufungsverfahren nach Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG für das Betreiben des Geschäfts, zu dem u.a. das Einreichen von Schriftsätzen bei Gericht gehört. Allerdings ermäßigt sich die Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV RVG bei einer vorzeitigen Beendigung des Auftrags auf das 1,1-fache. Eine solche vorzeitige Beendigung liegt vor, wenn der Auftrag endigt, bevor der Rechtsanwalt einen Schriftsatz, der Sachanträge oder Sachvortrag enthält, eingereicht hat. Danach ist vorliegend für den Prozessbevollmächtigten der Kl. aufgrund des von ihm eingereichten Schriftsatzes v. 15.8.2016 dem äußeren Anschein nach die 1,6-fache Verfahrensgebühr entstanden.

Hiervon ist jedoch die Frage zu unterscheiden, ob die Kläger diese Kosten in voller Höhe von der Bekl. erstattet verlangen können. Die Erstattungsfähigkeit setzt nach § 91 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 ZPO voraus, dass der den Antrag auf Zurückweisung der Berufung enthaltende Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Kl. zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig war. Die Frage, ob aufgewendete Prozesskosten zu einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig sind, bestimmt sich grds. danach, ob eine verstä...

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