StVG § 7 § 17 § 18; StVO § 1 Abs. 2 § 9 Abs. 5; ZPO § 286

Leitsatz

1. Die Sorgfaltspflichten des § 9 Abs. 5 StVO gilt nicht für den auf einem Parkplatz rückwärts Fahrenden. Vielmehr bestimmt sich die Sorgfaltspflicht nach § 1 Abs. 2 StVG.

2. Gegen den auf einem Parkplatz rückwärts Ausparkenden spricht kein Anscheinsbeweis für sein Verschulden, wenn sich in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Ausparken ein Unfall ereignet und es feststeht, dass der rückwärts Fahrende im Zeitpunkt der Kollision gestanden hat.

(Leitsatz der Schriftleitung)

LG Saarbrücken, Urt. v. 9.7.2010 – 13 S 61/10

Sachverhalt

Kl. und Bekl. machen wechselseitig Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich auf einem Supermarktparkplatz ereignet hat. Die Widerbekl. zu 2) beabsichtigte mit dem bei der Wiederbekl. zu 3) haftpflichtversichertem Fahrzeug der Kl. ebenso wie die Zweitbekl. mit dem bei der Erstbekl. haftpflichtversicherten Fahrzeug des Drittbekl. aus gegenüberliegenden Parktaschen auszuparken. Dabei kam es zu einem Zusammenstoß beider Fahrzeuge. Der Kl. hat vortragen lassen, das Fahrzeug des Bekl. sei gegen das nach Beendigung des Ausparkens bereits stehenden Fahrzeug der Kl. gefahren. Die Bekl. haben vorgetragen, dass die Bekl. zu 2) bereits den Ausparkvorgang beendet habe, auf der Zufahrstraße gestanden und ein Hupsignal abgegeben habe, als die Fahrerin des Fahrzeuges der Kl. gegen das bereits stehende Fahrzeug des Bekl. gefahren sei.

Das LG hat eine Haftungsteilung mit der Begründung angenommen, beide Unfallparteien hätten den jeweils gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis nicht entkräftet, da sie jeweils nicht nachgewiesen hätten, dass ihre Fahrzeuge bereits über einen ausreichenden Zeitraum gestanden hätten, und sie damit die im Rückwärtsfahren liegende besondere Gefährdung neutralisiert hätten.

Die Berufung des führenden Drittbekl., mit der er den abgewiesenen Teil seines Schadens verfolgt hat, hatte weitgehend Erfolg.

2 Aus den Gründen:

„… Die Berufung des Bekl. ist zulässig und weitestgehend begründet. Nach der in der Berufung ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass das Bekl.-Fahrzeug im Moment der Kollision zum Stillstand gekommen war und dessen Fahrerin auch kein sonstiges Verschulden an dem Zustandekommen des Unfalls trifft. Die Widerbekl. haften daher umständehalber für das Unfallgeschehen allein.

Zu Recht ist das Erstgericht allerdings zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Bekl.- als auch die Kl.-Seite grds. für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gem. §§ 7, 18 StVG i.V.m. § 115 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Dies gilt auch, soweit einer der Parteien – wie hier – den Nachweis erbracht hat, dass der Fahrer eines der unfallbeteiligten Fahrzeuge vorkollisionär zum Stehen gekommen ist. Denn auch insofern kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Idealfahrer mittels frühzeitigerem Warnzeichen den Unfall hätte verhindern können.

Soweit das Erstgericht angenommen hat, der Unfall sei durch ein Verschulden der Widerbekl. zu 2) verursacht worden, ist dies nicht zu beanstanden.

Allerdings kommt – wovon das Erstgericht letztlich auch ausgeht – § 9 Abs. 5 StVO, wonach sich der rückwärts Fahrende so zu verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, auf Parkplätzen nur eingeschränkt zur Anwendung. Die Vorschrift regelt nämlich die besondere Sorgfaltspflicht des rückwärts Fahrenden gegenüber dem fließenden und deshalb in der Regel rascheren Verkehr. Auf einem Parkplatz, dem – wie im Streitfall – der eindeutige Straßencharakter mangels besonderer Markierungen fehlt und der daher allein dem ruhenden Verkehr dient, muss jedoch anders als im fließenden Verkehr jederzeit mit rangierenden und damit auch rückwärts fahrenden Fahrzeugen gerechnet werden, so dass § 9 Abs. 5 StVO und der dem rückwarts Fahrenden auferlegte Gefährdungsausschluss keine unmittelbare Anwendung findet; stattdessen ist hier das Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme (§ 1 Abs. 2 StVO) zu beachten (vgl. etwa Urt. der Kammer v. 14.11.2008 – 13 S 126/08 und v. 12.2.2010 – 13 S 239/09; Geigel/Zieres, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl., 27. Kap. Rn 302; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 9 StVO Rn 51 jew. m.w.N.). Die besonderen Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO sind indes mittelbar heranzuziehen, weil beim Rückwärtsfahren die Sichtverhältnisse gegenüber dem vorwärts Fahren nicht unerheblich eingeschränkt sind, sodass diesem Fahrmanöver auch auf Parkplätzen eine höhere Gefahr als dem vorwärts fahrenden Fahrzeug inne wohnt; den rückwärts Fahrenden trifft daher auch auf Parkplätzen eine vergleichsweise höhere Sorgfaltspflicht.

Zu Recht ist das Erstgericht auch davon ausgegangen, dass die Widerbekl. sorgfaltswidrig gehandelt hat. Nach den auf den überzeugen...

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