StPO § 100h Abs. 1 S. 1 Nr. 1

Leitsatz

1. Für die Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten, die auf Bildaufnahmen gestützt werden, gibt es keine ausreichenden Regelungen durch Gesetze oder Rechtsverordnungen, in denen auf die spezifischen Verhältnisse des Straßenverkehrsrechts eingegangen wird.

2. Bei Prüfung der Ermächtigungsgrundlage für Bildaufnahmen im Straßenverkehr zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten ist ein strenger Maßstab anzulegen. Diesem strengen Prüfungsmaßstab wird die als Ermächtigungsgrundlage herangezogene Vorschrift des § 100h Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO nicht gerecht. In dieser Vorschrift wird nur das "Ob" einer Bildaufnahme dahin geregelt, dass eine solche Bildaufnahme zulässig sein soll. Es finden sich jedoch keinerlei verbindliche Vorschriften, wie im Einzelnen eine Bildaufnahme durchgeführt wird und aus welchem Zweck es zu Bildaufnahmen kommt.

3. Rechtswidriges Verwaltungshandeln liegt vor, wenn die Polizei oder die Ordnungsbehörden Geschwindigkeitsübertretungen allein oder hauptsächlich aus fiskalischen Gründen, aus Gründen einer "Pensenbeschaffung" oder zur Erfüllung statistischer Vorgaben durchführen, wenn keine Gefahrenstellen vorliegen oder wenn ansonsten die verbindlichen verwaltungsinternen Richtlinien solche Maßnahmen nicht erfassen.

(Leitsätze der Schriftleitung)

AG Herford, Urt. v. 8.11.2010 – 11 OWi-64 Js 1897/10-711/10

Sachverhalt

Mit Bußgeldbescheid v. 9.6.2010 wurde gegen den Betroffenen eine Geldbuße i.H.v. 340 EUR festgesetzt. Außerdem wurde ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat (unter Gewährung einer Abgabefrist für den Führerschein von vier Monaten) angeordnet. Dem Betroffenen wurde zur Last gelegt, am 1.3.2010 um 17.42 Uhr als Fahrer eines Pkw in H auf der außerorts gelegenen Umgehungsstraße die durch Verkehrszeichen angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 60 km/h aus Fahrlässigkeit überschritten zu haben.

Die Geschwindigkeitsmessung wurde im Rahmen einer stationären Geschwindigkeitskontrolle (sog. "Starenkasten") festgestellt. Bei der Geschwindigkeitsmessung wurde ein Geschwindigkeitsmessgerät der Marke Traffiphot-S eingesetzt. Von dem gemessenen Pkw und dem Fahrer wurde ein "Frontfoto" gefertigt. Der Pkw wurde nicht angehalten.

Auf den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid spricht ihn das AG frei.

2 Aus den Gründen:

„… B. … Zum Nachweis der Fahrereigenschaft des Betroffenen stand lediglich das im Rahmen der Geschwindigkeitsmessung gefertigte "Frontfoto" zur Verfügung. Anderweitige Beweismittel waren nicht gegeben. Es kam deshalb im Rahmen der Beweiswürdigung auf die Frage an, ob die gefertigten Frontfotos von dem gemessenen Pkw-Fahrer trotz des ausdrücklichen Widerspruches des Betroffenen zu Beweiszwecken verwertet werden durften. Diese Frage hat das Gericht verneint. Für die gefertigten Frontfotos bestand nämlich ein Beweiserhebungsverbot, welches aufgrund des ausdrücklichen Widerspruchs des Betroffenen zu einem Beweisverwertungsverbot führte. Die Messfotos konnten deshalb nicht zu Lasten des Betroffenen verwertet werden.

I. Es bestand ein Beweiserhebungsverbot, weil die erforderliche gesetzliche Grundlage für die Anfertigung der Messfotos fehlte .…

2. Um die hier getroffene Entscheidung besser einordnen zu können, sind zunächst einige Vorbemerkungen erforderlich.

a) Nach § 47 Abs. 1 OWiG liegt die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Dieses Ermessen erstreckt sich auf das gesamte Verfahren bis hin zur jeweiligen Rechtsfolge einer Bußgeldentscheidung. Bei einem derartig weiten Ermessensspielraum ist somit ein Ordnungswidrigkeitenverfahren anfällig für sachfremde Erwägungen. Es ist deshalb zu prüfen, ob und in welchem Umfang es verbindliche Regelungen gibt, wie das pflichtgemäße Ermessen ausgeübt wird, wie diese Ausübung dokumentiert wird, und welche Möglichkeiten ein Betroffener hat, die Ermessensausübung gerichtlich überprüfen zu lassen. Es ist außerdem zu klären, ob ein Bußgeldverfahren überhaupt geeignet ist, die angestrebten Ziele der Verkehrsüberwachung, nämlich die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehres zu erreichen, und ob es anstelle oder neben einer bußgeldbewehrten Verkehrsüberwachung andere Möglichkeiten der Verkehrslenkung gibt, die sinnvoller und effektiver sein könnten. …

c) Im Rahmen der Ermessensausübung bei der Feststellung und Ahndung der Verkehrsordnungswidrigkeiten gibt es nur wenige Regelungen durch Gesetz oder Rechtsverordnung. Auf der Rechtsfolgenseite ist hier die Bußgeldkatalogverordnung zu nennen, in der festgelegt ist, welche Geldbußen oder Verwarnungsgelder bei Verkehrsverstößen festgelegt werden sollen. Aus der Bußgeldkatalogverordnung kann jedoch nicht entnommen werden, auf welche Art und Weise die Verkehrsverstöße geahndet werden und warum überhaupt eine solche Ahndung erfolgen soll. Die Bußgeldkatalogverordnung gibt im Übrigen keinerlei Anhaltspunkte für die Frage, aufgrund welcher Ermächtigungsgrundlage Bildaufnahmen im Straßenverkehr gemacht werden.

In den Gesetzen der Länder für die Ordnungsb...

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