GG Art. 19 Abs. 4; StPO § 81a Abs. 2

1. Die Ermittlungsbehörden müssen zunächst regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen. Nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung besteht auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen. Die Gefahrenlage muss dann mit auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen begründet werden, die in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist

2. Art. 19 Abs. 4 ist verletzt, wenn Entscheidungen der Gerichte das Bestehen der polizeilichen Eilkompetenz für die Anordnung einer Blutentnahme mit einer Begründung annehmen, die den einfachrechtlichen Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO bei Blutentnahmen zur Feststellung der Blutalkoholkonzentration im Regelfall "leer laufen" lassen würden.

3. Die Erledigung des Eingriffs steht dem Rechtsschutzbedürfnis und damit der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen.

4. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ist nur dann gegeben, wenn das zur nachträglichen Überprüfung berufene Gericht die Voraussetzungen des Exekutivakts vollständig eigenverantwortlich nachprüft. Jedenfalls soweit das Handeln der Exekutive auf der Inanspruchnahme einer originär gerichtlichen Eingriffsbefugnis beruht, erstreckt sich das Gebot effektiven Rechtsschutzes in diesen Fällen auch auf Dokumentations- und Begründungspflichten der anordnenden Stelle, die eine umfassende und eigenständige nachträgliche gerichtliche Überprüfung der Anordnungsvoraussetzungen ermöglichen sollen. Diese Maßstäbe gelten grundsätzlich auch für Maßnahmen, die nicht – wie die Wohnungsdurchsuchung – einem verfassungsrechtlichen, sondern nur einem einfachgesetzlichen Richtervorbehalt unterliegen.

(Leitsätze der Schriftleitung)

BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, Beschl. v. 11.6.2010 – 2 BvR 1046/08

Auf die Verfassungsbeschwerde betreffend die Durchsuchung einer Wohnung und die Anordnung einer Blutentnahme ohne richterliche Anordnung auf Grund von Gefahr im Verzug stellt das BVerfG fest, dass Beschlüsse von AG und LG die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verletzen, soweit darin die Rechtmäßigkeit der Blutentnahme bei der Beschwerdeführerin festgestellt wird, hebt die Beschlüsse insoweit auf und verweist die Sache an das LG Nürnberg-Fürth zur erneuten Entscheidung zurück. Im Übrigen nimmt es die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

Aus den Gründen:

“… A. …. I. [2] Am 21.12.2007 (Freitag) gegen 17.12 Uhr verständigte der getrennt von der Beschwerdeführerin lebende Ehemann die Polizei, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Pkw gefahren sei, obwohl sie nach Alkohol gerochen und glasige Augen gehabt habe. Er teilte mit, dass sie ein Alkoholproblem habe. Gegen 17.40 Uhr trafen Polizeibeamte bei der Wohnung der Beschwerdeführerin ein. Da die Beschwerdeführerin die Wohnungstür nicht öffnete, verschaffte sich ein Polizeibeamter bei der im Anwesen wohnenden Vermieterin einen Zweitschlüssel für die Wohnung der Beschwerdeführerin.

[3] Die Beschwerdeführerin wurde nach einem Atemalkoholtest um 17.55 Uhr, bei dem ein Wert von 1,01 mg/l ermittelt wurde, zur Polizeiinspektion Feucht bei Nürnberg gebracht. Die Blutentnahme wurde von einem Polizeibeamten gegen 18.30 Uhr angeordnet und von einem Arzt um 18.40 Uhr beziehungsweise 19.04 Uhr durchgeführt. Die Proben ergaben eine Blutalkoholkonzentration von 1,69 ‰ und 1,56 ‰. Der Führerschein wurde sichergestellt. Die Beschwerdeführerin gab an, nach ihrer Fahrt keinen weiteren Alkohol zu sich genommen zu haben.

[4] Der Ehemann wurde an diesem Tag gegen 18.13 Uhr als Zeuge vernommen. Er sagte aus, dass er wegen der erheblichen Parfümierung zwar keinen Alkoholgeruch wahrgenommen, allerdings auffällig glasige Augen gesehen habe. Er habe daraufhin den gemeinsamen Sohn nicht an seine Frau übergeben. Er übergab den Ermittlungsbeamten eine gerichtlich protokollierte Umgangsvereinbarung vom 10.3.2006, in der sich die Beschwerdeführerin verpflichtet hatte, während der Anwesenheit des Kindes keinen Alkohol zu sich zu nehmen und das Kind auch nicht im alkoholisierten Zustand abzuholen. Außerdem sagte die Beschwerdeführerin in der Vereinbarung zu, eine Alkoholtherapie durchzuführen.

[5] Das AG Schwabach erließ am 13.2.2008 einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr. Hiergegen legte die Beschwerdeführerin Einspruch ein.

[6] Mit Schriftsatz vom 28.2.2008 beantragte der Verteidiger der Beschwerdeführerin beim AG Schwabach die Herausgabe des Führerscheins sowie die Feststellung, dass die Durchsuchung und die Blutentnahme rechtswidrig gewesen seien. Ferner beantragte er die Vernichtung der an diesem Tag entnommenen Blutproben. Die Anträge wurden auf die Verletzung von Art. 13 GG, Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gestützt. Der Richtervorbehalt sei missachtet worden...

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