Neben der Entscheidung des Rechtspflegers des LG Ravensburg (RVGreport 2015, 340 [Hansens]) ist der Beschl. des OLG München die erste mir bekannt gewordene Gerichtsentscheidung, die sich mit der immerhin schon mit Wirkung vom 1.8.2013 durch das 2. KostRMoG eingeführten Zusatzgebühr nach Nr. 1010 VV RVG befasst. Das OLG München hat gegen seine Entscheidung leider nicht die Rechtsbeschwerde zugelassen, so dass die Gelegenheit verpasst worden ist, eine höchstrichterliche Entscheidung des BGH zu den Voraussetzungen der Zusatzgebühr zu erhalten. Der Beschluss des OLG München gibt Anlass, sich mit der Zusatzgebühr nach Nr. 1010 VV RVG näher zu befassen.

Anwendbarkeit der Nr. 1010 VV RVG im Fall des OLG München

Wie erwähnt, hat der Gesetzgeber die Zusatzgebühr nach Nr. 1010 VV RVG mit dem 2. KostRMoG zum 1.8.2013 in das RVG eingefügt. Ob diese Gesetzesänderung vorliegend für die Prozessbevollmächtigten der Kl. anwendbar ist, bestimmt sich somit nach der Übergangsvorschrift des § 60 Abs. 1 S. 1 RVG. Danach ist die Vergütung nach bisherigem Recht – also ohne die Zusatzgebühr – zu berechnen, wenn den Rechtsanwälten der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG (hier: der Rechtsstreit vor dem LG Traunstein) vor dem Inkrafttreten des 2. KostRMoG erteilt worden ist. Zu dieser entscheidungserheblichen Frage hat sich das OLG München leider nicht geäußert. Hierzu hätte jedoch deshalb Veranlassung bestanden, weil die Klageschrift der Kl. bereits vom 20.10.2005 datiert und die Kl. diese wegen des vor dem LG Traunstein herrschenden Anwaltszwangs durch Prozessbevollmächtigte haben einreichen müssen. Haben diese Prozessbevollmächtigten den Rechtsstreit für die Kl. von Anfang bis zum Erlass des Urteils v. 5.10.2017 geführt, so war die Regelung der Nr. 1010 VV RVG für sie wegen des lange vor dem Inkrafttretens des 2. KostRMoG erteilten Auftrags gar nicht anwendbar. In diesem Fall wären die Ausführungen des OLG München dazu, ob der Tatbestand der Nr. 1010 VV RVG erfüllt ist, überflüssig.

Den Kl. stünde ein Kostenerstattungsanspruch hinsichtlich der geltend gemachten Zusatzgebühr deshalb nur dann zu, wenn sie ab dem 1.8.2013 neue Rechtsanwälte zu Prozessbevollmächtigten bestellt hätten. Für diese käme es dann nur auf den Zeitraum von der Auftragserteilung bis zum Abschluss der ersten Instanz durch Urt. v. 5.10.2017 an. Die weiteren Umstände von Beginn des Rechtsstreits im Jahre 2005 bis zum Zeitpunkt der Auftragserteilung wären für die (neuen) Prozessbevollmächtigten der Kl. deshalb nicht maßgeblich.

Voraussetzungen der Zusatzgebühr

Der Gesetzgeber hat die Zusatzgebühr für besonders umfangreiche Beweisaufnahmen auf Drängen der Anwaltschaft in das RVG aufgenommen und den Gesetzestext dabei offensichtlich so formuliert, dass die Zusatzgebühr in der Praxis nur selten anfällt. Dies wird dadurch bestätigt, dass es hierzu praktisch keine Judikatur gibt. Außerdem ist die Zusatzgebühr mit einem Gebührensatz von 0,3 ohnehin kein besonders üppiger Aufschlag auf die sonst anfallenden Gebühren, so dass wohl der eine oder andere Anwalt die Mühe scheut, den Streit im Kostenfestsetzungsverfahren über den Anfall dieser Gebühr auszufechten.

Mindestens drei gerichtliche Termine mit Vernehmung von Sachverständigen oder Zeugen

Diese Voraussetzungen lagen hier nach Auffassung des OLG München nicht vor. Zu Recht weist das OLG darauf hin, dass es für den Anfall der Zusatzgebühr in einem Termin nicht auf die Anwesenheit des Sachverständigen ankommt, sondern auf dessen Vernehmung (das OLG formuliert "Anhörung").

Beim Zeugen beginnt die Vernehmung gem. § 395 Abs. 2 S. 1 ZPO mit der Vernehmung zur Person.

Diese Regelung gilt über § 402 ZPO auch für Sachverständige, die gem. § 404 Abs. 3 ZPO vernommen werden können. Gem. § 411 Abs. 3 S. 1 ZPO kommt jedoch auch die mündliche Erläuterung des zuvor erstellten schriftlichen Gutachtens durch den Sachverständigen in Betracht. In beiden Fällen beginnt die Vernehmung/Anhörung des Sachverständigen mit der Befragung zur Person. Es kommt somit nicht darauf an, ob der Zeuge oder der Sachverständige sich bereits zur Sache geäußert hat bzw. der Sachverständige zu seinem Gutachten angehört wurde. Insoweit sind also die Ausführungen des OLG München wenig präzise. Wenn nämlich der Befangenheitsantrag – sei er gegen den erschienenen Sachverständigen oder gegen ein Mitglied des Gerichts gerichtet – erst gestellt worden ist, nachdem der anwesende Sachverständige sich zu seiner Person geäußert hat, hat seine Vernehmung in dem betreffenden Termin bereits begonnen.

Ortstermin

Zutreffend weist das OLG München darauf hin, dass von einem Sachverständigen anberaumte Ortstermine keine gerichtlichen Termine i.S.v. Nr. 1010 VV RVG sind (ebenso Hansens RVGreport 2013, 410, 412).

Besonders umfangreiche Beweisaufnahme

Das OLG München hat offengelassen, ob der Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren noch gesondert zu prüfen hat, ob die Beweisaufnahme besonders umfangreich war. Auch diese Frage ist in der Rspr. ungeklär...

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