Die Bußgeldkatalogverordnung (BKatV) hätte dringend einer Klarstellung zum Absehen vom Fahrverbot und der Bemessung eines dann erhöhten Bußgeldes bedurft. Der zum 28.4.2020 neu in Kraft getretene BKat, dessen Praktikabilität im Übrigen noch bewiesen werden muss, hat diese Präzisierung leider nicht vorgenommen. Der nachfolgende Beitrag erläutert anhand des bisher geltenden BKat Beispiele aus der Rechtsprechung norddeutscher Amtsgerichte.

Trotz der Absicht für typische Verkehrsordnungswidrigkeiten ein bundesweit einheitliches Sanktionierungssystem mit Regelbußen zu schaffen, zeigt die Rechtsprechungspraxis eine große Bandbreite von Entscheidungen, selbst bei sehr ähnlich gelagerten Fällen. Dies bezieht sich sowohl auf den Beurteilungsspielraum, wann von einem Härtefall für den Betroffenen ausgegangen werden kann, als auch auf den Ermessenspielraum bei der Sanktionszumessung. Diese Unterschiede sind zum Teil so beträchtlich, dass sie nicht hinnehmbar sind.

Da Urteile, die ein Fahrverbot verhängen, der Rechtsbeschwerde gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 und 3 OWiG zugänglich sind, ist hier in den jeweiligen OLG-Bezirken zwar eher eine Vereinheitlichungstendenz feststellbar als bei den geringer sanktionierten Ordnungswidrigkeiten, einer bundesweiten Vereinheitlichung der Rechtsprechung bei Fahrverboten steht jedoch die mangelnde Bereitschaft der OLGs entgegen, geeignete Fälle dem BGH vorzulegen. Auch ein Interesse des BVerfG, selbst eindeutig verfassungswidrige Urteile in Bußgeldsachen zur Entscheidung anzunehmen, scheint kaum vorhanden zu sein. Zudem sind selbst innerhalb der jeweiligen OLG-Bezirke noch beträchtliche Unterschiede in der erstinstanzlichen Rechtsprechung festzustellen.

Der nachfolgende Beitrag ist ein Plädoyer für eine Neujustierung zwischen Vereinheitlichung in wesentlichen Grundsätzen und Abweichungen vom Regelfall. Die dafür vorgestellten fast 50 Beispielsfälle[1] beschränken sich auf kurze Darstellungen, soweit sie für ein Fahrverbot von Bedeutung sind.

Die alleinige Rechtsgrundlage für ein Fahrverbot als Nebenfolge[2] eines Bußgeldverfahrens ist § 25 StVG, der erst über § 26a StVG durch den Bußgeldkatalog "mit Leben erfüllt" wird.[3] § 25 Abs. 1 StVG regelt, dass bei groben oder beharrlichen Pflichtverletzungen neben der Geldbuße ein Fahrverbot von einem bis drei Monaten angeordnet werden "kann". § 4 Abs. 1 BKatV regelt, in welchen Fällen der groben Verletzung von Pflichten ein Fahrverbot von einem bis drei Monaten "in der Regel in Betracht" kommt. § 4 Abs. 2 BKatV regelt, wann eine beharrliche Pflichtverletzung vorliegt, die "in der Regel" zu einem Fahrverbot von einem Monat führen soll. Das "ausnahmsweise" Absehen von einem Fahrverbot ist in § 4 Abs. 4 BKatV nur insoweit geregelt, dass dafür "das für den betreffenden Tatbestand als Regelsatz vorgesehene Bußgeld angemessen erhöht" werden soll.

In der Praxis handelte es sich bei groben Pflichtverletzungen bisher vor allem um Geschwindigkeitsübertretungen von mehr als 30 km/h innerhalb und mehr als 40 km/h außerhalb von Ortschaften und um qualifizierte Rotlichtverstöße mit einer Rotphase von mehr als einer Sekunde sowie Abstandsverstöße von unter 3/10 des halben Tachowertes bei Geschwindigkeiten von mehr als 100 km/h. Der Vorwurf der "beharrlichen" Pflichtverletzung in § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV traf typischerweise denjenigen, der nach Rechtskraft (nicht Tattag) eines Geschwindigkeitsverstoßes um mindestens 26 km/h innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten eine zweite Geschwindigkeitsübertretung von mindestens 26 km/h beging (hier war der Tattag entscheidend).

[1] Hier stehen somit nicht nur Grenz- und Sonderfälle im Fokus, sondern der unterschiedliche Umgang in allgemein üblichen Fällen durch die erste Instanz in Verkehrsbußgeldsachen.
[2] Das Fahrverbot darf als Nebenfolge nur zusätzlich zu einer Geldbuße verhängt werden und nicht stattdessen, Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 3. Aufl. 2014, S. 39, Rn 2.
[3] Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 3. Aufl. 2014, S. 24, Rn 3 und 5.

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