"VW – Dieselskandal"

Der u.a. für das Recht der unerlaubten Handlungen zuständige VI. Zivilsenat des BGH hat am 30.7.2020 in vier weiteren Verfahren über Schadensersatzansprüche von Käufern gebrauchter VW-Fahrzeuge mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 entschieden.

Schadensersatz nach § 826 BGB trotz Durchführung des Software-Updates

Unter Bezugnahme auf sein bereits am 25.5.2020 erlassenes Urteil zur Haftung der VW AG nach § 826 BGB (VI ZR 252/19) hat der BGH entschieden, dass der Anspruch des Klägers nach § 826 BGB nicht dadurch entfallen sei, dass dieser das von der Beklagten entwickelte Software-Update durchgeführt hat. Liege der Schaden in einem unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Klägers sittenwidrig herbeigeführten ungewollten Vertragsschluss, so entfalle dieser Schaden nicht dadurch, dass sich der Wert oder Zustand des Vertragsgegenstandes nachträglich verändere. Ein solcher Schaden falle auch unter den Schutzzweck des § 826 BGB (Urt. v. 30.7.2020 – VI ZR 367/19).

Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 099/2020 v. 30.7.2020

Nutzungsvorteile können den Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB vollständig aufzehren

Der BGH hat ferner entschieden, dass die vorzunehmende Anrechnung der vom Kläger durch den Gebrauch des Fahrzeugs gezogenen Nutzungsvorteile den Kaufpreiserstattungsanspruch vollumfänglich aufzehren kann. Die vom Berufungsgericht zur Berechnung des Wertes der Nutzungsvorteile herangezogene Formel (Bruttokaufpreis mal gefahrene Strecke seit Erwerb geteilt durch erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt) sei nicht zu beanstanden; die Annahme, das Fahrzeug habe im Erwerbszeitpunkt eine Gesamtlaufleistungserwartung von 250.000 Kilometern gehabt, hatte der Kläger mit seiner Revision nicht angegriffen (Urt. v. 30.7.2020 – VI ZR 354/19).

Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 098/2020 v. 30.7.2020

Kein Deliktszinsen nach § 849 BGB

Der BGH hat auch klargestellt, dass den geschädigten VW-Käufern keine Deliktszinsen nach § 849 BGB zustehen. Einer Anwendung des § 849 BGB stehe der Umstand entgegen, dass der Käufer als Gegenleistung für die Hingabe des Kaufpreises ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhalten habe; die tatsächliche Möglichkeit, das Fahrzeug zu nutzen, kompensiere den Verlust der Nutzungsmöglichkeit des Geldes. Eine Verzinsung gem. § 849 BGB entspreche in einem solchen Fall nicht dem Zweck der Vorschrift, mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer entzogenen oder beschädigten Sache auszugleichen (Urteile v. 30.7.2020 – VI ZR 354719 und VI ZR 397/19).

Quelle: Pressemitteilungen des BGH Nr. 098/2020 und Nr. 100/2020 v. 30.7.2020

Schadensersatzklage bei Gebrauchtwagenkauf nach Aufdeckung des "Dieselskandals" erfolglos

Nach Auffassung des BGH ist ferner das Verhalten der Beklagten gegenüber den Käufern der Fahrzeuge ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Pressemitteilung der Beklagten v. 22.9.2015 nicht mehr als sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB anzusehen. In der Pressemitteilung hatte die VW AG die Öffentlichkeit über Unregelmäßigkeiten der verwendeten Software bei Dieselmotoren vom Typ EA 189 informiert und mitgeteilt, dass sie daran arbeite, die Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und dass sie hierzu mit dem Kraftfahrt-Bundesamt in Kontakt stehe. Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB sei in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Aufgrund der Pressemitteilung und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung sei typischerweise nicht mehr damit zu rechnen, dass Käufer von gebrauchten VW-Fahrzeugen mit Dieselmotoren die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für die Ausnutzung einer diesbezüglichen Arglosigkeit durch die Beklagte sei damit kein Raum mehr. Käufern, die sich erst für einen Kauf entschieden haben, nachdem die Beklagte ihr Verhalten geändert hatte, sei deshalb – unabhängig von ihren Kenntnissen vom "Dieselskandal" im Allgemeinen und ihren Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen – nicht sittenwidrig ein Schaden zugefügt worden.

Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 101/2020 v. 30.7.2020

Autor: Karsten Funke

Karsten Funke, Richter am Landgericht, München

zfs 8/2020, S. 422

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge