A. Einleitung

Es gab in der letzten Zeit drei Schmerzensgeldurteile, die auf große Resonanz stießen. Zum einen ist es das Urteil des OLG Frankfurt vom 18.10.2018 (22 U 97/16), zum anderen das Urteil des LG Aurich vom 23.11.2018 (2 O 165/12) sowie das Urteil des LG Magdeburg vom 7.2.2019 (10 O 503/18). Angesichts der Tendenz, die diese Urteile gemeinsam haben, stellt sich die Frage, ob eine neue Zeitrechnung in der Schmerzensgeldrechtsprechung angebrochen ist und ob diese überfällig ist. Mit diesem Beitrag soll unter anderem das bisherige Schmerzensgeldsystem kritisch analysiert werden und das neue taggenaue Schmerzensgeldsystem betrachtet werden. Es gab bisher in der Schmerzensgeldrechtsprechung nur wenige Urteile, die so eine Resonanz nach sich zogen, wie die Entscheidung des OLG Frankfurt des 22. Zivilsenates vom 18.10.2018 (Az. 22 U 97/16).[2] Es stellt sich also die Frage, warum offensichtlich die Zeit reif ist für eine Schmerzensgeldveränderung. Die Resonanz insbesondere auf das Urteil des OLG Frankfurt zeigt sich auch an der großen Anzahl von Besprechungen.[3]

Nach dem Urteil des OLG Frankfurt kam das Urteil des LG Aurich, welches in eine ähnliche Richtung ging wie die Entscheidung des OLG Frankfurts. Schließlich hat das LG Magdeburg sich ebenfalls in dem jüngsten Urteil vom 7.2.2019 dem Urteil des OLG Frankfurt der taggenauen Schmerzensgeldberechnung angeschlossen.

[2] zfs 2019, 83.
[3] Wambach/Walter DAR 2019, 43; Engelbrecht DAR 2019, 44; Zarges zfs 2019, 90; Bensalah/Hassel NJW 2019, 403; Lang, jurisPR-VerR 5/2019, Anm. 1; Koch JZ 2019, 491.

B. Schmerzensgeldurteil des OLG Frankfurt vom 18.10.2018 – 22 U 97/16 (zfs 2019, 83)

In der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main[4] ging es um einen Motorradunfall. Die Haftpflichtversicherung des Verursachers war zu 100 % eintrittspflichtig. Der Kläger erlitt einen Handgelenksbruch, eine Halswirbelsäulenverstauchung und eine Bauchwandprellung. Ferner kam es aufgrund des Unfalls zu Sensibilitätsstörungen im Bereich der Finger. Der Senat urteilte ein Schmerzensgeld i.H.v. 11.000 EUR aus. Das Besondere hieran ist, dass bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldbetrages erstmalig in Deutschland von einem OLG die taggenaue Schmerzensgeldbemessung von Schwintowski/Schah Sedi/Schah Sedi angewendet wurde. Nach den Erfahrungen des Senats ist die Bemessung des Schmerzensgeldes in geradezu extremer Art und Weise von der persönlichen Situation des erkennenden Richters und auch von dem jeweiligen Landstrich bzw. Bundesland abhängig ist, in denen das Gericht sich gerade befindet. Der Senat vertritt die Auffassung, dass nach der bisherigen Schmerzensgeldmethode oftmals die Dauer der Lebensbeeinträchtigung zu kurz kommt. Zwar ist nach den gängigen Schmerzensgeldtabellen, wie unter anderem der Tabelle von Hacks/Wellner/Häcker oftmals das Alter des Verletzten in der Entscheidung angegeben, die genaue Dauer der Auswirkung findet aber wenig Bedeutung. Nach Ansicht des Senats sollte die Dauer der Beeinträchtigungen, das heißt die Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten bei der Bemessung des Schmerzensgeldes eine viel größere Rolle spielen als bisher.

Exemplarisch verweist der Senat auf die Entscheidung des OLG Hamm vom 19.11.2001 (13 U 136/98) und des OLG München vom 14.9.2005 (27 U 65/05). In beiden Entscheidungen ging es um eine Frau, bei der ein Schmerzensgeld von einmal 40.000 EUR und einmal 45.000 EUR bei einer Unterschenkelamputation ausgeurteilt wurde. Würde man hier die Lebenserwartung von noch ca. 40 Jahren berücksichtigen, ergebe diese Entscheidung einen Tagessatz von lediglich 3 EUR pro Tag. Nach Ansicht des OLG Frankfurt sind 3 EUR am Tag für eine Unterschenkelamputation viel zu wenig, um die Dauer der Beeinträchtigung angemessen zu berücksichtigen. Deswegen wendet der Senat nicht die bisherigen Schmerzensgeldtabellen an, sondern berechnet das Schmerzensgeld nach dem taggenauen System von Schwintowski/Schah Sedi/Schah Sedi. Der Senat bezieht sich bei seiner Berechnung auf das Handbuch Schmerzensgeld von Schwintowski/Schah Sedi/Schah Sedi und berücksichtigt den Aspekt, dass der Schmerz und die Beeinträchtigung für jeden Menschen gleich sind (Gleichheit vor dem Schmerz). Nach Ansicht des Senates dürfen daher der Schmerz und die Beeinträchtigung weder nach dem Einkommen, noch nach dem persönlichen Status des Geschädigten unterschiedlich bewertet werden.

Genau aus diesem Grund schließt sich der Senat der Auffassung von Schwintowski/Schah Sedi/Schah Sedi an, dass das Durchschnittseinkommen aller Deutschen maßgeblich sein muss, um eine einheitliche Bewertung vorzunehmen.

Es ist dann der sog. Tagessatz zu bilden. Je nach Schwere der Beeinträchtigung haben die Autoren Schwintowski/Schah Sedi/Schah Sedi als Tagessatz bei der Intensivstation 15 % des durchschnittlichen Bruttomonatseinkommens verwendet. Bei dem stationären Aufenthalt 10 %, bei dem Reha-Aufenthalt 9 %, bei der häuslich ambulanten Behandlung 8 % und bei dem feststehenden Dauerschaden 7 % als Tagessatz.

Ferner bezieht sich das OLG Frankfurt bei der Lebensbeeinträchtigung nicht auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit...

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