VVG § 81

Leitsatz

1. Wer ein Kfz mit einem weit über der Richtgeschwindigkeit liegenden Tempo fährt – hier 200 km/h –, muss in besonderem Maße seine volle Konzentration auf das Verkehrsgeschehen richten.

2. Schon die kurzzeitige Ablenkung durch Bedienung des sog. Infotainmentsystems (Navigationssystem) kann bei derartigen Geschwindigkeiten den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit begründen, mit der Folge eines zumindest teilweisen Verlustes der Haftungsfreistellung in den einer Kaskoversicherung nachgebildeten Bedingungen eines Mietvertrags.

3. Das Vorhandensein eines sog. Spurhalteassistenten reduziert den in einem entsprechenden Verhalten liegenden Schuldvorwurf zumindest bei derartig hohen Geschwindigkeiten nicht.

OLG Nürnberg, Urt. v. 2.5.2019 – 13 U 1296/17

Sachverhalt

Die Kl., eine Autovermieterin, verlangt vom Bekl. zu 1) – er war Fahrer, aber nicht Mieter des Wagens – Schadenersatz, weil dieser am 19.4.2015 mit dem Mietwagen, Typ Mercedes Benz CLS 63 AMG, auf der Autobahn verunfallte und den Wagen beschädigte. Während der Bekl. zu 1), auf der linken Spur fahrend, das Infotainmentsystem des Fahrzeugs bediente, um dort Informationen abzurufen, geriet das Fahrzeug nach links von der Fahrbahn ab und stieß gegen die Mittelleitplanke. Die Kl. trägt vor, der Bekl. zu 1) sei mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h gefahren.

Im Mietvertrag für das Fahrzeug war eine Haftungsbeschränkung ohne Selbstbeteiligung vereinbart. Grundlage des Mietvertrages waren die Allgemeinen Vermietbedingungen der Kl. (AVB). Dort ist in I.2 S. 4 AVB geregelt, dass die Vermieterin berechtigt ist, ihre Leistungspflicht zur Haftungsfreistellung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen, wenn der Schaden am Mietfahrzeug grob fahrlässig herbeigeführt wurde. Der Bekl. zu 1) war als berechtigter Fahrer gem. I.7 AVB in die Schutzwirkung der dort vereinbarten Haftungsbeschränkungen in gleicher Weise wie der Mieter ausdrücklich einbezogen.

2 Aus den Gründen:

"… II. Die zulässige Berufung der Kl. ist im noch zur Entscheidung gestellten Umfang begründet."

Der Kl. steht gegen den Bekl. zu 1) ein Schadensersatzanspruch in tenorierter Höhe aus § 823 Abs. 1 BGB wegen (grob) fahrlässiger Eigentumsverletzung zu, der im ausgeurteilten Umfang nicht durch die vereinbarte Haftungsbeschränkung ausgeschlossen ist.

1. Die Kl. ist aktivlegitimiert. Sie war nicht Eigentümerin, sondern Leasingnehmerin des beschädigten Fahrzeugs. Aufgrund der Abtretungserklärung der Eigentümerin, der M-Leasing GmbH, vom 22.12.2014 ist sie jedoch berechtigt, Schadensersatzansprüche wegen der Beschädigung ihrer Fahrzeuge im eigenen Namen geltend zu machen.

2. Die Haftung des Bekl. zu 1) gem. § 823 Abs. 1 BGB dem Grunde nach ist nicht in Streit. Der Bekl. zu 1) verursachte mit dem vom früheren Bekl. zu 2) angemieteten Fahrzeug am 19.4.2015 einen Unfall, bei dem es beschädigt wurde. Unstreitig hat der Bekl. zu 1) den Unfall deshalb verursacht, weil er wegen Bedienung des Infotainmentsystems nicht mit der erforderlichen Aufmerksamkeit auf die Fahrbahn geachtet hat. Dies ist selbst dann zumindest fahrlässig, wenn der Bekl. zu 1) “nur‘ mit einer Geschwindigkeit von 130 km/h gefahren wäre.

3. Die Haftung des Bekl. zu 1) ist nicht aufgrund der zwischen der Kl. und dem frühere Bekl. zu 2) vereinbarten Haftungsfreistellung ausgeschlossen.

Der frühere Bekl. zu 2) hatte mit der Kl. für das Mietfahrzeug eine Haftungsbeschränkung ohne Selbstbeteiligung vereinbart. Der Bekl. zu 1) war als berechtigter Fahrer gem. I.7 AVB in die Schutzwirkung der dort vereinbarten Haftungsbeschränkungen in gleicher Weise wie der Mieter ausdrücklich einbezogen. Er hat den Schaden am Mietfahrzeug aber grob fahrlässig herbeigeführt und damit gem. I.2 S. 4 AVB die ihn begünstigende Haftungsbeschränkung im von der Kl. geltend gemachten Umfang (50 %) eingebüßt.

a) Die Regelung in I.2 S. 4 AVB hält der Inhaltskontrolle nach § 307 ff. BGB stand und ist damit wirksam.

Haben die Parteien eines gewerblichen Kraftfahrzeugmietvertrags – wie hier – gegen Entgelt auch zugunsten des berechtigten Fahrers eine Haftungsreduzierung nach Art der Vollkaskoversicherung vereinbart, darf neben dem Mieter auch der Fahrer darauf vertrauen, dass die Reichweite des mietvertraglich vereinbarten Schutzes im Wesentlichen dem Schutz entspricht, den der Mieter genießen würde, wenn er selbst Eigentümer des Kfz und selbst VN in der Fahrzeugvollversicherung wäre (…). Nur bei Einräumung dieses Schutzes genügt der gewerbliche Vermieter von Kfz seiner aus dem Grundsatz von Treu und Glauben erwachsenen Verpflichtung, schon bei der Festlegung seiner AGB die Interessen künftiger Vertragspartner angemessen zu berücksichtigen (BGH zfs 2009, 637).

Die Erwartung einer der Vollkaskoversicherung entsprechenden Vertragsgestaltung besteht bei Kraftfahrzeugmietverträgen mit entgeltlicher Haftungsreduzierung auch hinsichtlich des Verhaltens eines Fahrers, dem der Mieter berechtigterweise das Mietfahrzeug überlässt (BGH, Urt. v. 11.10.2011 – VI ZR 46/10, juris Rn 14). Mietvertragsklauseln...

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