Hinweis

"Die Rechtsbeschwerde wird begründet mit der Verletzung materiellen Rechts. Die Sachrüge wird zunächst allgemein erhoben. Daneben werden folgende Einzelbeanstandungen geltend gemacht: Die Urteilsgründe tragen eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung nicht. Der Betr. hat eingeräumt, die zulässige Höchstgeschwindigkeit fahrlässig überschritten zu haben. Er hat geltend gemacht, ein Verkehrszeichen übersehen zu haben. Das genügt nicht, um Vorsatz anzunehmen. Darüber hinaus hat das AG in den Urteilsgründen auch keine weiteren Feststellungen dazu getroffen, ob zusätzliche Anhaltspunkte vorlagen, aufgrund derer sich die Geschwindigkeitsbeschränkung für den Betr. aufdrängen musste."

 

Erläuterung:

In der Praxis kommen immer wieder Konstellationen vor, bei denen Amtsgerichte vorschnell dem Betr. vorsätzliches Handeln unterstellen. Das führt zu erhöhten Bußgeldern und Problemen beim Absehen vom Fahrverbot. Aus Sicht der Verteidigung ist daher besondere Sorgfalt bei der Überprüfung darauf zu legen, ob tatsächlich vorsätzliches Handeln angenommen werden darf.

Das KG hat mit Beschl. v. 6.5.2019 (BeckRS 2019, 12065) seine bisherige Rspr. verfestigt, wonach bereits bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 % regelmäßig nur Vorsatz in Betracht kommt, sofern nicht besondere Umstände eine abweichende Wertung veranlassen. Das Gericht hat den Einwand der Verteidigung nicht gelten lassen, Laien seien gerade nicht in der Lage, Geschwindigkeiten sich bewegender Objekte zuverlässig einzuschätzen. Der Senat nimmt hier einen in st. Rspr. geprägten Erfahrungssatz (mit einer im Grundsatz tatsächlich widerlegbaren Wahrscheinlichkeitsaussage) an. Die Verteidigung muss darauf achten, ob hier eine Widerlegung möglich ist. Fehlerhaft wäre es, die vorsätzliche Begehungsweise beispielsweise darauf zu stützen, dass das Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, immer eine vorsätzliche Geschwindigkeitsübertretung indiziere. Einen Erfahrungssatz in dieser Allgemeinheit gibt es nicht. Richtig ist nur, dass im Grundsatz ein vorsätzlicher Verstoß umso näher liegt, je höher die Geschwindigkeitsüberschreitung ist. Dabei wird regelmäßig von Vorsatz auszugehen sein, wenn in solchen Fällen die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 40 km/h überschritten wird (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 17.6.2014, (2B) 53 Ss-OWi 230/14, BeckRS 2014, 16541). Wenn die Überschreitung unterhalb dieser Grenze bleibt, sind zusätzliche Indizien erforderlich. Diese fehlen häufig in den amtsgerichtlichen Entscheidungen. Das OLG Celle hat solche zusätzlichen weiteren Indizien angenommen bei Vorliegen von mehreren Geschwindigkeitsüberschreitungen in engem zeitlichem und räumlichem Zusammenhang. Auch sie waren aber in den amtsgerichtlichen Urteilsgründen nicht belegt. In der obergerichtlichen Rspr. ist anerkannt, dass bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen (etwa ab 40 %, spätestens ab 50 %) i.d.R. von vorsätzlicher Begehungsweise ausgegangen werden kann, wenn anhand der Motorengeräusche, der sonstigen Fahrgeräusche, der Fahrzeugvibration und anhand der Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung ändert, der Fahrer zuverlässig einschätzen kann und dadurch erkennt, dass er die erlaubte Geschwindigkeit wesentlich überschreitet.

Aber Achtung: Das Passieren von mehreren Schilderpaaren mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung reicht allerdings alleine nicht aus. Zwar werden ordnungsgemäß aufgestellte Vorschriftszeichen von Verkehrsteilnehmern in aller Regel wahrgenommen, auch wenn es dazu keine genauen aufgrund wissenschaftlicher Erhebungen gesicherten Erkenntnisse gibt. Für die Verteidigung ist wichtig, dass der Einwand des Übersehens eines Verkehrszeichens durch den Betr. nur dann vom Gericht in Rechnung gestellt wird, wenn sich dafür entweder Anhaltspunkte ergeben oder der Betr. dieses Verfahren selbst oder durch den Verteidiger einwendet. In diesem Zusammenhang ist nach wie vor die Entscheidung des BGH v. 11.9.1997 (Az. 4 StR 638/96, NJW 1997, 3252) wichtig. In dieser Entscheidung hat der BGH zum Augenblicksversagen Stellung genommen. Dem Betr. kann ein für ein Fahrverbot erforderliches grob pflichtwidriges Verhalten nicht vorgeworfen werden, wenn der Grund für die von ihm begangene erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung darin liegt, dass er das die Höchstgeschwindigkeit begrenzende Zeichen nicht wahrgenommen hat, es sei denn, gerade diese Fehlleistung beruhe ihrerseits auf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit. Die Verteidigung muss darauf achten, dass es für die Bewertung des Verschuldens des Betr. ohne Belang ist, ob er die durch das Vorschriftszeichen angeordnete Geschwindigkeit weniger oder mehr überschreitet. Das Maß der Pflichtverletzung des Betr. hängt nur davon ab, wie sehr ihn das Übersehen des Schildes zum Vorwurf gereicht. An dieser Stelle ist die Verteidigung gefordert, erfolgreich vorzutragen.

Autor: Gerhard Hillebrand

RA Gerhard Hillebrand, FA für Verkehrsrecht, Neumünster

zfs 8/2019, S. 423 - 424

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