Laufzeit, Zinsfuß, Dynamisierung und Anspruch auf Kapitalisierung; zugleich Nachschau auf den 57. Verkehrsgerichtstag Goslar

A. Einleitung

Seit langer Zeit war die Diskussion über die Kapitalisierung von Schadenersatzansprüchen nicht mehr so lebhaft wie aktuell. Die bereits über viele Jahre anhaltenden Niedrigzinsen zwingen dazu, bei der Kapitalisierung von weit in die Zukunft hineinreichenden Ansprüchen die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Folge davon sind zahlreiche in den letzten Monaten erschienene Veröffentlichungen. Es wird nach einer ausgewogenen Lösung gesucht, wobei die Standpunkte, je nachdem aus welchem "Lager" die Beiträge stammen, teilweise sehr kontrovers sind.

Vorläufiger Höhepunkt der aktuellen Diskussion war der 57. Verkehrsgerichtstag in Goslar, wo sich der Arbeitskreis IV eingehend mit dieser Thematik befasste. Dieser Beitrag soll dazu dienen, den aktuellen Stand der Diskussion anhand der in diesem Zusammenhang erschienenen Veröffentlichungen in juristischen Fachzeitschriften[2] zusammenzufassen, und konzentriert sich dabei auf die Kernpunkte Laufzeit, Zinsfuß, Dynamisierung und Anspruch auf Kapitalisierung.

[2] Folgende Veröffentlichungen wurden in diesem Zusammenhang betrachtet: Huber, Der Ersatz künftiger Einbußen beim Personenschaden, zfs 2018, 484; Scholten, Merkpunkte bei der Abfindung von Personenschäden, NJW 2018, 1302; Car/Mittelstädt, Kapitalisierung von Rentenansprüchen, VersR 2018, 1477; Köck, Abfindung von Personenschäden und vergleichsweise Regelung – Ausblick und Anmerkungen zum Arbeitskreis IV des 57. Verkehrsgerichtstages 2019, DAR 2019, 2; Luckey, Die Abfindung von Personenschäden – Risiken und Haftungsfallen, NZV 2019, 9; Bachmeier, Personenschaden – Vergleich, Kapitalisierung und der Weg zur Anwaltshaftung, SVR 2019, 10; Janeczek, 57. Deutscher Verkehrsgerichtstag in Goslar, Der Verkehrsanwalt (DV) 2019, 6; Lang, Chancen und Risiken beim Abfindungsvergleich und der Kapitalisierung von Ansprüchen, VersR 2019, 385; Huber, Der 57. Deutsche Verkehrsgerichtstag, ZVR 2019, 72; Jaeger, Einfluss der Niedrigzinsphase auf die Bemessung des Schmerzensgeldes, VersR 2019, 577; Strunk, Abfindung von Personenschäden und vergleichsweise Regelung – Höhe der Abzinsung, DAR 2019, 313. (Da von Huber Beiträge sowohl aus der zfs als auch der ZVR zitiert werden, wird auf den Zusatz zfs verzichtet und nur die ZVR gesondert angegeben.)

B. Anzuwendende Kapitalisierungstabellen

Unabhängig von den einzelnen Faktoren und Schadensersatzansprüchen besteht Einigkeit dahingehend, dass bei der Bestimmung des Kapitalbetrages die jeweils aktuellen Kapitalisierungstabellen der Berechnung zugrunde zu legen sind.[3]

[3] Luckey a.a.O., 10; Lang, a.a.O., 392; Quirmbach/Gräfenstein/Strunk, Kapitalisierungstabellen – Ersatzansprüche bei Personenschäden richtig berechnen, 2. Auflage 2017, § 5 Rn 2; Strunk, a.a.O., 315.

C. Laufzeit

Bei der Frage der Laufzeit ist nach den einzelnen Ansprüchen zu unterscheiden.

Bei Heilbehandlungskosten und vermehrten Bedürfnissen besteht weitgehend Konsens dahingehend, dass diese grundsätzlich bis zum Lebensende zu kapitalisieren sind.

Bezüglich der Schadenpositionen Verdienstausfall- und Haushaltsführungsschaden herrschen allerdings weiterhin verschiedene Ansichten.

Die Laufzeit des Verdienstausfallschadens bemisst Lang[4] bei vor 1947 geborenen Geschädigten bis zum 65. Lebensjahr und sieht den generellen Anspruch bis zum 67. Lebensjahr.[5] Das ist sicher zutreffend bei Geschädigten, die bis zum Jahre 2030 das 67. Lebensjahr erreichen werden. Bei jüngeren Geschädigten, deren Renteneintrittsalter nach 2030 liegt, ist jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem späteren Rentenbeginn als mit Erreichen des 67. Lebensjahres auszugehen. Hierauf weisen u.a. Luckey,[6] Car/Mittelstädt,[7] Huber[8] sowie Strunk[9] hin. In der Tat ist die Tendenz in der Politik angesichts drohender Rentenfinanzierungslücken in dieser Hinsicht ganz eindeutig. Maßgebende Fachleute erwarten, dass bereits ab 2030 das Renteneintrittsalter deutlich angehoben wird.[10]

Auch im Bereich des Haushaltsführungsschadens ist von deutlich längeren Laufzeiten auszugehen, als in der Vergangenheit von Literatur und Rechtsprechung angenommen wurde. Angesichts der ständig steigenden Lebenserwartung und der sich kontinuierlich verbessernden medizinischen Versorgung und höheren Lebensqualität im Alter ist eine Begrenzung auf das 75. Lebensjahr nicht mehr zeitgemäß. Heutzutage wird im Regelfall der Haushalt bis ins hohe Lebensalter noch weitgehend selbstständig erledigt. Folgerichtig wird nunmehr nahezu übereinstimmend vertreten, dass, jedenfalls immer dann, wenn es keine konkreten Anhaltspunkte für eine vorzeitige Beeinträchtigung der Haushaltsführung gibt, auch der Haushaltsführungsschaden bis zum Lebensende zu kapitalisieren ist.[11]

[4] Lang, a.a.O., 385 f.
[5] Lang, a.a.O., 392.
[6] Luckey, a.a.O., 10.
[7] Car/Mittelstädt, a.a.O., 1479.
[8] Huber, a.a.O., 491.
[9] Strunk, DAR 2019, 313 f.
[10] Vgl. dazu Quirmbach/Gräfenstein/Strunk, a.a.O., § 1 Rn.3 m.w.N.; Gräfenstein/Strunk, Zur Regulierung materieller ...

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