BGB § 833

Leitsatz

1. Ein Ausschluss der Tierhalterhaftung wegen Handelns auf eigene Gefahr kommt auch dann regelmäßig nicht in Betracht, wenn der Geschädigte einen Hund für mehrere Tage in seiner Hundepension aufgenommen und für diese Zeit die Beaufsichtigung des Tieres übernommen hat.

2. Ein für die Verletzung mitursächliches Fehlverhalten des Geschädigten ist ggf. nach § 254 BGB anspruchsmindernd zu berücksichtigen.

BGH, Urt. v. 25.3.2014 – VI ZR 372/13

Sachverhalt

Die Kl. betreibt gewerblich eine Hundepension. Der beklagte Hundehalter übergab der Kl. seine Hündin zur zehntägigen entgeltlichen Betreuung. Die Kl. macht im Wege der Leistungs- und Feststellungsklage Ersatz materiellen und immateriellen Schadens mit der Begründung geltend, die Hündin habe sie in die Ober- und Unterlippe gebissen, als sie sie habe anleinen wollen. AG und LG haben die Klage abgewiesen. Das LG, das die Revision zugelassen hat, hat das Eingreifen der Tierhalterhaftung mit der Begründung verneint, es sei mit dem Schutzzweck des § 833 S. 1 BGB unvereinbar, eine Haftung zu bejahen, da die Kl. die unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit für mehrere Tage gewerblich und vorwiegend im eigenen Interesse und in Kenntnis der damit verbundenen Gefahren übernommen habe.

Dieser Begründung folgte der BGH nicht. Er hob das angefochtene Urteil auf verwies die Sache an das BG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück.

2 Aus den Gründen:

[3] "… Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die den Bekl. als Halter seines Hundes grds. treffende Tierhalterhaftung kann im Streitfall nicht mit der Begründung verneint werden, sie sei wegen freiwilliger Risikoübernahme durch die Kl. mit dem Schutzzweck des § 833 S. 1 BGB nicht vereinbar."

[4] 1. Das BG hat offengelassen, ob sich die Kl. die Gesichtsverletzung durch einen Biss des Hundes des Bekl. zugezogen hat. Dies ist deshalb im Revisionsverfahren zu ihren Gunsten zu unterstellen.

[5] 2. § 833 S. 1 BGB begründet eine Gefährdungshaftung des Tierhalters für den Fall, dass ein anderer durch das Tier in einem der in dieser Vorschrift genannten Rechtsgüter verletzt wird. Der Grund für die strenge Tierhalterhaftung liegt in dem unberechenbaren oder aber auch instinktgemäßen selbsttätigen tierischen Verhalten und der dadurch hervorgerufenen Gefährdung von Leben, Gesundheit und Eigentum Dritter, also der verwirklichten Tiergefahr (vgl. Senatsurt. v. 6.7.1976 – VI ZR 177/75, BGHZ 67, 129, 130, und v. 20.12.2005 – VI ZR 225/04, VersR 2006, 416 Rn 7, jeweils m.w.N.; dazu kritisch: Schiemann, in: Erman, BGB, 13. Aufl., § 833 Rn 4 m.w.N.; vgl. auch Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 9 Rn 12 f.; Moritz, in: jurisPK-BGB, 6. Aufl., § 833 Rn 14 ff.). Diese ist dann nicht anzunehmen, wenn keinerlei eigene Energie des Tieres an dem Geschehen beteiligt ist. Verletzungen durch Hundebisse sind danach grds. der spezifischen Tiergefahr zuzurechnen.

[6] 3. Der Tierhalterhaftung des Bekl. steht nicht entgegen, dass die Kl. seinen Hund für zehn Tage in ihrer Hundepension aufnahm und für diese Zeit die Beaufsichtigung des Tieres übernahm. Die Haftung des Tierhalters nach § 833 S. 1 BGB greift nach herrschender Meinung in Rspr. und Literatur nämlich grds. auch dann ein, wenn ein Tieraufseher im Rahmen seiner Aufsichtsführung durch das betreute Tier verletzt wird (vgl. Senatsurt. v. 12.1.1982 – VI ZR 188/80, VersR 1982, 366, 367; v. 19.1.1982 – VI ZR 132/79, VersR 1982, 348 f., und v. 9.6.1992 – VI ZR 49/91, VersR 1992, 1145, 1146; BGH, Urt. v. 26.6.1972 – III ZR 32/70, VersR 1972, 1047, 1048; OLG Hamm VersR 1975, 865; OLG Frankfurt VersR 1997, 456; OLG Karlsruhe NJW-RR 2009, 453; Palandt/Sprau, BGB, 73. Aufl., § 834 Rn 3; Geigel/Haag, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 18 Rn 39; Wussow/Rüge, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 11 Rn 11; a.A. MüKo-BGB/Wagner, 6. Aufl., § 833 Rn 20).

[7] 4. Zu Unrecht verneint das BG einen Anspruch der Kl. aus § 833 S. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt der freiwilligen Risikoübernahme. Bei der Tierhalterhaftung hat der erkennende Senat eine vollständige Haftungsfreistellung des Tierhalters unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr nur in eng begrenzten Ausnahmefällen erwogen. Der Umstand, dass sich der Geschädigte der Gefahr selbst ausgesetzt hat, ist regelmäßig erst bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile nach § 254 BGB zu berücksichtigen (Senatsurt. v. 17.3.2009 – VI ZR 166/08, VersR 2009, 693 Rn 7; vgl. auch Schiemann, a.a.O. Rn 6; Moritz, a.a.O. Rn 30; jeweils m.w.N.). Unter welchen Voraussetzungen die Tierhalterhaftung ausnahmsweise bereits im Anwendungsbereich ausgeschlossen sein könnte, weil deren Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstieße (vgl. Senatsurt. v. 20.12.2005 – VI ZR 225/04, a.a.O. Rn 14 ff. m.w.N.), kann hier offenbleiben, denn ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben.

[8] a) Für Fallgestaltungen, in denen sich Personen der Tiergefahr aus beruflichen Gründen vorübergehend aussetzen, ohne dabei die vollständige Herrschaft ...

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