Nur im Ausnahmefall kann ein die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen ausschließender Verursachungsbeitrag des Geschädigten angenommen werden. Das Handeln des Geschädigten muss von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet gewesen sein.[83] Derartiges Verhalten ist beispielsweise gegeben, wenn sich ein Fußgänger auf eine erkennbar spiegelglatte Eisfläche begibt, um sein Fahrzeug von einem Gaststättenparkplatz zu holen, ohne vorher den Gastwirt zu bitten, die Eisfläche zu bestreuen.[84] Das LG Oldenburg[85] nahm ein so weit überwiegendes Mitverschulden der Geschädigten an, weil diese den Gehweg weiter beschritten hatte, obwohl sie erkannte, dass der Sohn des Verkehrssicherungspflichtigen gerade mit der Räumung beschäftigt und die Räumung noch nicht abgeschlossen war. Sie forderte ihn nicht zur Streuung auf.

Das LG München I[86] bejahte eine alleinige Mithaftung des Geschädigten, der einen erkennbar vereisten Ladehof betreten hatte. Es führte aus:

"Auf die durch winterliche Witterung entstehenden Gefahren muss sich grundsätzlich jeder Verkehrsteilnehmer selbst einstellen und im eigenen Interesse der Schadensverhütung die Maßnahmen ergreifen, die nach der gegebenen Gefahrenlage geboten sind. Dazu gehört es auch, erkannte, besondere Gefahren nach Möglichkeit zu umgehen. … Vorliegend kannte der Kläger die Schadensneigung seines Verhaltens. Er hätte sie umgehen können, … . Die gezielte Entscheidung des Klägers, trotz der erkannten Gefahrenlage den Ladehof in der geschehenen Weise zu begehen, hat somit die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts derart durchgreifend begründet, dass auch eine eventuelle Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten … vollständig hinter dem Verursachungsbeitrag des Klägers zurücktreten müsste."

Nicht ausreichend für eine alleinige Haftung ist, wenn sich die Geschädigte ohne zwingende Notwendigkeit zu Fuß in die Innenstadt begeben hat, obwohl ihr bekannt war, dass aufgrund des vorangegangenen Schneefalls eine erhöhte Glättegefahr und damit auch eine erhöhte Sturzgefahr bestand. Ein entsprechendes Urteil des OLG Hamm[87] wurde vom BGH aufgehoben und zurückgewiesen.[88]

[83] Ebd., Fn 85; LG Köln, 6.3.2013 – 26 O 337/12, BeckRS 2013, 19970.
[84] BGH, 20.11.1984 – VI ZR 169/83, NJW 1985, 482.
[85] LG Oldenburg, 12.10.2005 – 4 O 2094/05, LSK 2007, 100012.
[86] LG München I, 27.10.2010 – 26 O 13115/09, juris.
[87] OLG Hamm, 12.9.2012 – 11 U 94/11, BeckRS 2013, 11850.

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