BGB § 254 Abs. 1

Leitsatz

Es gibt jedenfalls derzeit kein allgemeines Verkehrsbewusstsein, dass das Tragen von Motorradschuhen zum eigenen Schutz eines Motorradfahrers erforderlich ist. Daher ist ein Mitverschulden eines verletzten Motorradfahrers, der im Unfallzeitpunkt Sportschuhe trug, aus diesem Grunde zu verneinen.

(Leitsätze des Einsenders)

OLG Nürnberg, Beschl. v. 9.4.2013 – 3 U 1897/12

Sachverhalt

Der Kl. wurde als Motorradfahrer bei einer Kollision mit dem von dem Bekl. zu 1) gesteuerten und bei der Bekl. zu 2) haftpflichtversicherten Pkw verletzt. Der Kl., der zum Unfallzeitpunkt u.a einen Motorradhelm, eine Motorradjacke, Motorradhandschuhe, eine Arbeitshose und Sportschuhe trug, befuhr die Straße, als der Bekl. zu 1) aus einer Parkbucht rückwärts ausparkte und mit dem Fahrzeug des Kl. kollidierte. Das Fahrzeug des Bekl. zu 1) traf mit dem hinteren Stoßfänger das Motorrad des Kl. auf der rechten Seite im vorderen Bereich. Dadurch bildete sich am Stoßfänger des Pkw eine Öffnung mit scharfer Kante, in die der rechte Fuß des Kl. geriet, die eine Unterschenkelamputation erforderlich machte. Der Kl. hat die Verurteilung der Bekl. zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes, den Ersatz von weiteren Schäden sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Bekl. hinsichtlich künftiger materieller und immaterieller Schäden verfolgt. Das LG hat die Klage durch Grund- und Teilurteil – letztes hinsichtlich des Feststellungsantrags – für begründet erklärt. Es ist von einer alleinigen Haftung der Bekl. ausgegangen und hat ein Mitverschulden an der Entstehung der Unfallfolgen wegen des Tragens von Sportschuhen statt fester Motorradschuhe verneint.

In der Berufung der Bekl. streiten die Parteien nur noch darum, ob dem Kl. ein erhebliches Mitverschulden an dem Unfalleintritt deshalb vorgeworfen werden kann, weil er keine Motorradschuhe getragen hat. Das verneinte der Senat in seinem Hinweisbeschluss.

2 Aus den Gründen:

" … Gegenstand der Berufung ist … allein die Frage, ob der Kl. sich ein erhebliches Mitverschulden gegen sich selbst entgegen halten lassen muss, weil er keine Motorradschuhe getragen hat."

2. Eine solche Mithaftung, die sich auf die geltend gemachten Sachschäden allerdings nicht auswirken würde, besteht jedoch nicht.

a) Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass eine gesetzliche Vorschrift zum Tragen von Motorradstiefeln nicht existiert (vgl. zu Sicherheitsgurten und Schutzhelm § 21a StVO).

b) Nun ist allerdings ein Mitverschulden des Verletzten auch ohne das Bestehen gesetzlicher Vorschriften bereits dann anzunehmen, wenn er diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Er muss sich “verkehrsrichtig’ verhalten, was sich nicht nur durch die geschriebenen Regeln der StVO bestimmt, sondern durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar ist, um diese Gefahr möglichst gering zu halten. Danach würde es für eine Mithaftung des Kl. ausreichen, wenn das Tragen von Motorradschuhen durch Motorradfahrer zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich war (BGH NJW 1979, 980).

c) Das LG hat mit zutreffender Argumentation ein solches Bewusstsein verneint.

aa) Es hat hierzu auch zu den von den Bekl. zitierten Entscheidungen des OLG Düsseldorf v. 20.2.2006 (MZV 2006, 415) und des Brandenburgischen OLG v. 23.7.2009 (NJW-RR 2010, 538) Stellung bezogen. Hierbei ist dem LG zuzustimmen, wenn es ausführt, dass das OLG Düsseldorf ein solches Verschulden gegen sich selbst ohne nähere Begründung bejaht. Das Urteil des Brandenburgischen OLG bezieht sich auf Schutzkleidung an den Beinen, also auf eine Motorradhose, die Prellungen und Risswunden am linken Bein des dortigen Kl. verhindert hätte. Insoweit mag – was der Senat im vorliegenden Fall jedoch offen lassen kann – ein allgemeines Verkehrsbewusstsein bestehen (wohl zweifelnd Henschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, § 21a StVG Rn 23).

bb) Hinsichtlich des Tragens von Motorradschuhen vermag auch der Senat jedenfalls derzeit ein solches allgemeines Verkehrsbewusstsein nicht zu erkennen.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens.

Hierbei ist schon nicht vorgetragen oder ersichtlich, auf welche Art von Motorradschuhen sich dieses Bewusstsein beziehen soll. Bei Motorradschutzbekleidung als solche mag dies eine solche aus Kevlar, Lederimitat, dickem Leder oder ähnlichem Material sein. Bei Motorradschuhen könnten diese Schuhe aus dünnem oder dickem Leder oder Lederimitat bestehen. Die Schuhe könnten in bestimmten Bereichen (Zehen/Knöchel) durch Plastik oder Metallteile verstärkt sein oder auch nicht. Evtl. könnte die Schutzfunktion auch durch andere Schuhe erfüllt werden, wie z.B. durch Arbeitsschutzschuhe oder hohe Wanderschuhe. Schon diese Vielfalt spricht gegen ein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz bei Schuhen, da völlig unklar bleibt, welcher Standard das Verkehrsbewusstsein prägen soll.

Auch die vorg...

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