StVG § 7 § 17; StVO § 1 Abs. 2 § 2 Abs. 2 § 14 Abs. 1

Leitsatz

1) Erfolgte der Zusammenstoß eines Fahrradfahrers mit der geöffneten Fahrertür eines Pkw in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang, spricht gegen den Pkw-Fahrer der Beweis des ersten Anscheins-

2) Ein Mitverschulden des Fahrradfahrers kann in einem zu geringen Abstand des Fahrradfahrers zum geparkten Pkw liegen. Der Mindestabstand sollte 50 cm nicht unterschreiten. Die Darlegungs- und Beweislast für ein Mitverschulden des Radfahrers wegen der Unterschreitung des Mindestabstandes obliegt dem Pkw-Fahrer.

(Leitsätze der Schriftleitung)

OLG Celle, Urt. v. 1.11.2018 – 14 U 61/18

Sachverhalt

Die Kl. begehrt als Alleinerbin des im Jahre 2018 verstorbenen vormaligen Kl. (im Folgenden: Erblasser), die Feststellung der Ersatzpflicht der Bekl. für Schäden des Erblassers aus einem Verkehrsunfall im Jahre 2014. Der im Jahre 1933 geborene Erblasser befuhr am Unfalltag mit seinem Fahrrad die AHB-Straße. Die Bekl. zu 1) hatte ihren Pkw auf der 5,1 Meter breiten AHB-Straße in einer am rechten Fahrbahnrand vorgesehenen Parkfläche unter teilweiser Benutzung des Gehweges geparkt und wollte aussteigen.

Beim Öffnen der Fahrertür durch die Bekl. zu 1) kam es zu einer Berührung zwischen Fahrrad und Fahrertür, wodurch der Erblasser stürzte und sich verletzte. Unfallbedingt erlitt der Kl. ein Schleudertrauma mit schmalem subduralen Hämatom rechts, eine nicht dislozierte Impressionsfraktur rechts sowie eine diskrete bifrontale schmale Subarachnoidalblutung. Nach einer stationären Behandlung von acht Tagen befand er sich für drei Wochen in Kurzzeitpflege Und anschließend für vier Wochen in einer stationären Rehabilitationsmaßnahme. Die Parteien habe darüber gestritten, in welchem Umfang die Bekl. zu 1) die Fahrertür geöffnet hat und mit welchem Seitenabstand der Erblasser zu dem Fahrzeug der Bekl. zu 1) gefahren ist. Dass Landgericht hast nach Beweisaufnahme durch Einholung technischer Unfallrekonstruktionsgutachten und Anhörung des Erblassers und der Bekl. zu 1) festgestellt, dass die Bekl. zu 1) und deren Haftpflichtversicherung, die Bekl. zu 2), als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Erblasser 80 % der unfallbedingten materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen. Zur Begründung der Mithaftung des Erblassers bezog sich das Landgericht darauf, dass der Erblasser nach den eingeholten Unfallrekonstruktionsgutachten einen unzureichenden Sicherheitsabstand zu dem Fahrzeug der Bekl. zu 1) eingehalten habe. Mit der Berufung verfolgen der Kl. und nach seinem Versterben die Kl. das ursprüngliche Klagebegehren weiter und wenden sich in erster Linie gegen die Herleitung des Mitverschuldens des Erblassers wegen eines angeblichen zu geringen Seitenabstandes.

Die Berufung hatte überwiegend Erfolg.

2 Aus den Gründen:

"… Die zulässige Berufung hat hinsichtlich der begehrten Feststellung der Alleinhaftung der Bekl. als Gesamtschuldner Erfolg, hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nur teilweise Erfolg."

1. Hinsichtlich der begehrten Feststellung der Alleinhaftung der Bekl. als Gesamtschuldner ist die Berufung begründet. Die Kl. hat als Alleinerbin und Rechtsnachfolgerin des vormaligen Kl. R. R. (Erblasser) einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 7Abs. 1, 17, 18 StVG, § 823 Abs. 1 BGB, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG, §§ 426, 1922 Abs. 1 BGB gegen die Bekl. als Gesamtschuldner dem Grunde nach zu 100 % hinsichtlich aller dem Erblasser aus dem Verkehrsunfall vom 14.10.2014 entstandenen materiellen und immateriellen Schäden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

a) Gegen die Bekl. spricht der Beweis des ersten Anscheins, den Unfall verschuldet zu haben, weil die Kollision mit dem Fahrrad des Erblassers im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Öffnen der Fahrertür erfolgte. Gemäß § 14 Abs. 1 StVO hatte sich die Bekl. zu 1) dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Zu den anderen Verkehrsteilnehmern im Sinne der Vorschrift gehört jede Person, die sich selbst verkehrserheblich verhält, d.h. körperlich und unmittelbar auf den Ablauf eines Verkehrsvorgangs einwirkt, auch wenn dies verkehrswidrig sein sollte (BGH, Urt. v. 15.5.2018 – VI ZR 231/17, juris). Dazu gehörte der Erblasser. Die Bekl. zu 1) hat im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung vor der Kammer eingeräumt, ihn nicht gesehen zu haben (“Ich habe niemanden gesehen'), obwohl der Erblasser als Fahrradfahrer auf der geraden Straße sichtbar war. Zwar darf der Fahrzeugführer die Tür vorsichtig einen Spalt nach links öffnen, um sich Sicht nach rückwärts zu verschaffen, jedoch erst nach Ausschöpfung der Beobachtungsmöglichkeiten vom Innern des Pkw aus (Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., § 14 StVO Rn 4 m.w.N.). Ob das hier so gewesen ist, ist schon nach den Erklärungen der Bekl. zu 1) zweifelhaft; sie will die Tür einerseits nur “etwa einen Spalt geöffnet' haben, weiß aber andererseits – was i...

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