Hinweis

"Der Beklagte verstieß durch sein unbesehenes Einfahren in die Engstelle gegen § 6 S. 1 StVO sowie § 1 Abs. 2 StVO. Eine Engstelle liegt – wie hier – vor, wenn eine an sich ausreichend breite Fahrbahn durch ein Hindernis wie etwa parkende Fahrzeuge vorübergehend verengt ist ("Jagow/Burmann/Heß, StraßenverkehrsR, § 2 StVO Rn 73). Vorrang gebührt in einer solchen Engstelle demjenigen Fahrzeug, das die Engstelle zuerst erreicht hat bzw. in diese eingefahren ist, auch wenn hierzu dann die Fahrbahn links der eigentlichen Fahrbahnmitte benutzt werden muss (OLG Hamm, NZV 97, 479; (Jagow/Burmann/Heß, StraßenverkehrsR, § 2 StVO Rn 74). Wer die Engstelle mit deutlichem Vorsprung vor dem anderen erreicht hat, darf auf seinen Vorrang vertrauen (BayObLG, VRS 63, 215; OLG Düsseldorf, VRS 35, 53). Erreichen beide gleichzeitig die Engstelle, ist eine Verständigung zu verlangen. Die Straße war rechtsseitig beparkt und die Fahrbahn dadurch verengt. Der Kläger befuhr bereits diese verengte Fahrbahn und war daher gegenüber dem Beklagtenfahrzeug vorrangberechtigt. Der Beklagte durfte nicht unbesehen in die Engstelle einfahren, sondern musste dem bereits dort entgegenkommenden Fahrzeug zunächst die ungehinderte Vorbeifahrt ermöglichen. Der Beklagte erkannte, dass die Straße einseitig beparkt und dadurch verengt war. Er durfte sich daher allenfalls vorsichtig hineintasten bzw. weiterfahren, um festzustellen, ob nicht ein anderes Fahrzeug die Engstelle bereits befuhr. Da der Beklagte unbesehen zunächst einmal vollständig in die Engstelle einfuhr, verursachte und verschuldete er den Unfall alleine.“

 

Erläuterung:

Ereignet sich ein Unfall an einer Stelle, an der sich die Fahrbahn für einen oder beide Verkehrsteilnehmer verengt, kommt es grundsätzlich zu einer überwiegenden oder alleinigen Haftung des Verkehrsteilnehmers, auf dessen Seite sich die Verengung der Fahrbahn oder das Hindernis befindet (BGH, VersR 66, 929; OLG Bamberg, VersR 82, 983), da dieser Fahrer dem Entgegenkommenden gem. § 6 S. 1 StVO Vorrang gewähren muss (Jagow/Burmann/Heß, StraßenverkehrsR, § 6 StVO, Rn 8b). Sofern der wartepflichtige Fahrer dennoch seine Vorbeifahrt erzwingen will, so haftet er für den Unfall in der Regel alleine. Der Wartepflichtige muss ggf. seine Geschwindigkeit anpassen und Vorrang gewähren. Allerdings ist bei einer Engstelle, die das gleichzeitige Passieren entgegenkommender Fahrzeuge unmöglich macht, in der Regel immer einer Verständigung zu verlangen, wer die Fahrt fortsetzen kann. Nach aktueller Rechtsprechung gelten für beide Fahrer – neben § 6 StVO – grundsätzlich immer auch die Sorgfaltspflichten nach § 1 StVO, so dass auch nicht ausschließlich auf das "Vorrangsrecht" vertraut werden kann (so u.a. OLG Schleswig, Beschl. v. 24.4.2020 – 7 U 225/19). Ebenso besteht immer eine Pflicht zum Fahren mit angepasster Geschwindigkeit, da ansonsten trotz "Vorrangsregel" ein Weiterfahren bei zwei nebeneinander passierenden Fahrzeugen unmöglich gemacht wird.

Autor: Verena Bouwmann

RAin Verena Bouwmann, Fachanwältin für Verkehrsrecht, München

zfs 6/2021, S. 303

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