"A. Der Einzelrichter überträgt die Sache zur Fortbildung des Rechts auf den Senat, der in der Besetzung mit drei Richtern entscheidet (§ 80a Abs. 3 S. 1 OWiG). Der Senat gibt seine Rspr., nach der es an der von Nr. 132.3 BKat vorausgesetzten “abstrakten Gefährlichkeit' fehlt, wenn im Zeitpunkt des Rotlichtverstoßes die Kreuzung für den Querverkehr noch durch rotes Ampellicht gesperrt ist, auf. Er folgt insoweit der Rspr. des BayObLG.

B. Die zulässig erhobene Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

I. Ohne Erfolg bleibt zunächst die Verfahrensrüge, das AG habe den “Beweisantrag', ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die geräteseits abgezogene Toleranz “zu gering angesetzt' sei, verfahrensrechtswidrig abgelehnt. Das geeichte Messgerät ist durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt zugelassen worden. Zulassung und Eichung dienen gerade dazu, das Tatgericht von einer einzelfallbezogenen Überprüfung der technischen Funktionsweise der Messgeräte zu entlasten. Rechtsfehlerfrei hat es das AG abgelehnt, den unnötigen Beweis zu erheben.

II. Auch die Rüge, das AG habe einen weiteren Beweisantrag unzulässig abgelehnt, bleibt ohne Erfolg.

Der Verteidiger hat beantragt, ein Sachverständigengutachten auch zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass “der Querverkehr nicht gefährdet werden konnte, da bei Eintritt der für den Querverkehr geltenden Grünphasen der Betr. den geschützten Kreuzungsbereich längst verlassen hatte.' Die Beweiserhebung zielte erkennbar auf die Feststellung, dass die von Nr. 132.3 BKat vorausgesetzte abstrakte Gefahr, die Grundlage des Regelfahrverbots ist, hier nicht gegeben war.

Auch diesen Beweisantrag hat das AG rechtsfehlerfrei abgelehnt.

1. Allerdings hat der Senat in den vergangenen Jahren in unterschiedlichen Fallkonstellationen und mit verschiedenen Formulierungen entschieden, dass von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden kann oder sogar abzusehen ist, sofern der Rotlichtverstoß mit keiner abstrakten Gefahr oder “abstrakten Gefährdung' verbunden gewesen sei. So heißt es in einer Entscheidung vom 7.4.2010 – 3 Ws (B) 115/10 – (NZV 2010, 361 = VRS 119, 48):

“Die … Regelahndung ist aber nicht bei jedem Verstoß, der länger als eine Sekunde nach Beginn der Rotphase begangen wird, indiziert. Vielmehr soll Nr. 132.2 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV a.F. ebenso wie die Vorläuferreglung Nr. 34.2 eine schärfere Ahndung besonders schwerwiegender Rotlichtverstöße erlauben, da die – häufig im Zusammenhang mit überhöhter Geschwindigkeit begangene – Missachtung eines Wechsellichtzeichens bei länger als einer Sekunde andauernder Rotlichtphase nach der amtlichen Begründung (VkBl. 1991, 702, 704) als besonders gefährlich anzusehen ist, weil sich der Querverkehr und insbesondere auch Fußgänger nach dieser Zeit bereits in dem Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden können (…). Dieser Gesichtspunkt des Schutzes insbesondere des Querverkehrs kann jedoch dann nicht zum Tragen kommen, wenn es zu einer solchen abstrakten Gefährdung von vornherein nicht kommen kann, weil zum Zeitpunkt des Rotlichtverstoßes andere Verkehrsteilnehmer ebenfalls nicht in den geschützten Bereich der Kreuzung eindringen durften, weil die Fahrspuren für den Querverkehr bzw. auch die Fußgängerfurten gesperrt waren.'

In einer Entscheidung vom 31.7.2015 – 3 Ws (B) 356/15 – (NZV 2016, 594 = VRS 129, 328) heißt es ähnlich: “Eine abstrakte Gefährdung liegt dann nicht vor, wenn es durch das Sperren der Fahrspuren des Querverkehrs und der Fußgängerfurten im Zeitpunkt des Rotlichtverstoßes nicht zu einer abstrakten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer kommen konnte, weil keine potenziell gefährdeten Verkehrsteilnehmer in den geschützten Kreuzungsbereich eindringen durften.'

In einer noch weitergehenden Entscheidung des Senats v. 20.8.2007 – 3 Ws (B) 450/07 – (VRS 114, 60) wurde wie folgt formuliert:

“Die – häufig im Zusammenhang mit überhöhter Geschwindigkeit begangene – Missachtung eines Wechsellichtzeichens bei länger als einer Sekunde andauernder Rotlichtphase ist nach der amtlichen Begründung (…) als besonders gefährlich anzusehen, weil sich der Querverkehr – insbesondere auch Fußgänger – nach dieser Zeit bereits in dem Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden kann (…). Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils liegt ein derartiger besonderer schwerwiegender Rotlichtverstoß nicht vor. Insb. sind abstrakte – geschweige denn konkrete – Gefährdungen anderer Verkehrsteilnehmer – insb. Fußgängern – dem Urteil nicht zu entnehmen.'

Die Annahme, dass der Ordnungswidrigkeit der Missachtung eines bereits mehr als eine Sekunde leuchtenden roten Ampellichts (in der Folge: qualifizierter Rotlichtverstoß) die durch Nr. 132.3 BKat vorausgesetzte “abstrakte Gefährlichkeit' fehlen kann, ist in der Literatur umstritten. Die Reichweite der vertretenen Meinungen bleibt dabei oft unklar. Deutscher (in Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., Rn 1615) fordert, das...

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