"… [6] II. 1. Der Kl. hat aus dem zwischen ihm und der Bekl. geschlossenen Anwaltsvertrag einen Anspruch auf Rückgewähr desjenigen Teils des geleisteten Vorschusses, der die tatsächlich geschuldete Vergütung übersteigt. Die Rückzahlung derartiger Vorschüsse richtet sich nicht nach § 812 BGB. Für sie sind vielmehr §§ 675, 667 BGB mindestens entsprechend anzuwenden (BGH RVGreport 2018,150 [Hansens] = AGS 2018, 60). Das hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt."

[7] 2. Für ihre Tätigkeit im Vorprozess kann die Bekl. eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG, eine Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG, die Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gem. VV RVG Nr. 7002 sowie Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG beanspruchen. Der Gegenstandswert der Verfahrens- und der Terminsgebühr beträgt 90.549,87 EUR. In dieser Höhe hat das Gericht des Vorprozesses den Streitwert festgesetzt.

[8] a) Gem. § 23 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt sich der Gegenstandswert im gerichtlichen Verfahren nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften. Wird der für die Gerichtsgebühren maßgebliche Wert gerichtlich festgesetzt, ist die Festsetzung gem. § 32 Abs. 1 RVG auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend (vgl. BGH zfs 2013, 706 m. Anm. Hansens = RVGreport 2013, 484 [Hansens] = AGS 2013,524; BGH RVGreport 2018, 150 [ders.]). Die Festsetzung des Gebührenstreitwerts im Ausgangsprozess bindet das Gericht auch in einem Gebührenrechtsstreit, den der Anwalt wegen seiner Vergütung mit seinem Mandanten führt (Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 23. Aufl., § 32 Rn 71; Mayer/Kroiß/Kießling, RVG, 7. Aufl., § 32 Rn 3; Riedel/Sußbauer/Potthoff, RVG, 10. Aufl., § 32 Rn 28 f). Dies gilt allerdings nicht, wenn der Gegenstand der gerichtlichen Tätigkeit demjenigen der anwaltlichen Tätigkeit nicht entspricht. In einem solchen Fall ist der Rechtsanwalt nicht gehindert, Gebühren entsprechend seiner weitergehenden Tätigkeit gegen seinen Mandanten geltend zu machen (BGH RVGreport 2018, 150 [Hansens]). Eine solche "überschießende" anwaltliche Tätigkeit haben die Bekl. hier aber nicht behauptet.

[9] b) Die Bekl. halten die Berechnung, welche der Festsetzung des Streitwerts im Vorprozess zugrunde liegt, für offensichtlich unrichtig. Darauf kommt es nicht an. Einwendungen gegen den Streitwertbeschluss hätten im Vorprozess geltend gemacht werden können und müssen. Gem. § 32 Abs. 2 S. 1 RVG kann der Rechtsanwalt aus eigenem Recht die Festsetzung des Werts beantragen und Rechtsmittel gegen die Festsetzung einlegen.

[10] Demgegenüber meint die Revision, der Kl. habe durch sein Verhalten die Möglichkeit der Bekl. vereitelt, ein Rechtsmittel gegen die Festsetzung des Streitwerts im landgerichtlichen Urteil des Vorprozesses einzulegen. Er habe der Bekl. das Urteil zur Kenntnis gegeben, nicht jedoch darauf hingewiesen, dass es ein noch nicht abgeschlossenes Berufungsverfahren gegeben habe. Von dem Berufungsverfahren habe die Bekl. erst nach Ablauf der Beschwerdefrist erfahren. Nach Treu und Glauben dürfe sich der Kl. nunmehr nicht auf die Festsetzung berufen.

[11] Dies trifft nicht zu. Nicht der Kl. hat sich vertragswidrig verhalten. Die Bekl. hätte unmittelbar nach der Kündigung des Mandats die erhaltenen Vorschüsse abrechnen müssen. Eine entsprechende vertragliche Pflicht des Rechtsanwalts, der gem. § 9 RVG Vorschüsse verlangt und erhalten hat, folgt aus §§ 675, 666 BGB (BGH RVGreport 2018, 409 [Hansens] = AGS 2019, 48 = AnwBl 2019,42). Zur Vorbereitung der Abrechnung hätte die Bekl. gem. § 32 Abs. 2 S. 1 RVG die gerichtliche Festsetzung des Streitwerts beantragen können. Von dieser naheliegenden Möglichkeit hat sie keinen Gebrauch gemacht; sie hat auch – trotz Aufforderung durch den Kl. – keine Abrechnung erstellt.

[12] 3. Von Rechtsfehlern beeinflusst ist das angefochtene Urteil insoweit, als es einen Rückforderungsanspruch des Kl. allein aufgrund einer fehlenden Abrechnung gem. § 10 RVG angenommen hat.

[13] a) Gem. § 10 S. 1 RVG kann der Rechtsanwalt die Vergütung nur aufgrund einer von ihm unterzeichneten und dem Auftraggeber mitgeteilten Berechnung einfordern. Die Bekl. macht hier jedoch keinen Vergütungsanspruch geltend. Sie verteidigt sich vielmehr gegen den Rückforderungsanspruch aus §§ 675, 667 BGB. Dieser Anspruch setzt voraus, dass der Vorschuss, welchen der Rechtsanwalt als Auftragnehmer zur Ausführung des Auftrags erhalten hat, nicht verbraucht worden ist. Insoweit ist zwischen der Entstehung der Gebühren, deren Fälligkeit und deren ordnungsgemäßer Abrechnung zu unterscheiden. Unter welchen Voraussetzungen eine Gebühr entsteht, richtet sich nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 RVG), insbesondere nach dem VV zu § 2 Abs. 2 RVG. Fällig wird die Vergütung, wenn der Auftrag erledigt oder die Angelegenheit beendet ist (§ 8 Abs. 1 S. 1 RVG). Weder die Entstehung des Vergütungsanspruchs noch seine Fälligkeit hängen also von der Berechnung der Vergütung gem. § 10 RVG ab. Diese ist nur Voraussetzung d...

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