StPO § 329

1. Die sofortige Verwerfung der Berufung des Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO ist wegen der Ausnahmenatur der Vorschrift nicht mehr statthaft, wenn der Angeklagte zu Beginn der Hauptverhandlung erschienen ist, sich aber kurz darauf wieder entfernt hat.

2. Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung im Wege der Analogie zu § 329 Abs. 3 StPO ist auch demjenigen zu gewähren, der zwar zum Termin geladen und erschienen war, jedoch zu Unrecht als säumig behandelt worden ist.

3. Das Ausbleiben des Angeklagten ist dann als entschuldigt anzusehen, so dass kein Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO ergehen darf, wenn im Fall der notwendigen Verteidigung der Verteidiger ohne Verschulden gehindert war, an der Berufungshauptverhandlung teilzunehmen.

(Leitsätze der Schriftleitung)

Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 7.10.2009 – 1 Ss 86/09, 1 Ws 184/09, 1 WS 206/09

Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten mit Anklage vom 15.10.2008 die Begehung des Verbrechens eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in der Absicht der Verdeckung einer Straftat gem. § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 lit. b 2. Var. StGB in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte unter Beisichführen einer Waffe gem. § 113 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB und in weiterer Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr gem. § 316 StGB sowie in Tatmehrheit dazu Bestechung vorgeworfen. Der Angeklagte soll in der Nacht zum 26.7.2008 nach vorangegangenem erheblichem Alkoholgenuss in fahruntüchtigem Zustand gegen 2:15 Uhr mit dem Pkw die Bundesstraße 109 in Kenntnis der eigenen Fahruntüchtigkeit befahren haben. Als der Angeklagte im Bereich des Straßenabschnittes 95 durch die Polizeibeamtin Kl einer Verkehrskontrolle unterzogen werden sollte und durch Haltekelle zum Anhalten aufgefordert worden war, sei er mit unverminderter Geschwindigkeit auf die ihn zum Anhalten auffordernde Polizeibeamtin zugefahren. Die wegen des eingeschalteten Blaulichtes am Funkstreifenwagen und der von ihr geschwenkten Haltekelle sowie mit einer signalgelben Warnweste deutlich sichtbare Polizeibeamtin habe nur durch einen reaktionsschnellen Sprung von der Fahrbahn einer Frontalkollision mit dem vom Angeklagten geführten Fahrzeug ausweichen können. Hierdurch habe der Angeklagte seine ungehinderte Weiterfahrt erzwingen und der Aufdeckung seiner Trunkenheitsfahrt entgehen wollen. Eine um 4:21 Uhr entnommen Blutprobe habe eine Alkoholkonzentration von 1,95 mg/g ergeben. Des Weiteren soll der Angeklagte auf dem Weg zur Polizeiwache gegenüber den Polizeibeamten geäußert haben: "Fahrt doch dort zur Tankstelle, ich geb’ euch einen Kaffee aus, na das wird nicht reichen, dann mach ich euch auch noch den Tank voll, dann verschwinde ich und wir vergessen die ganze Angelegenheit, es war ja nicht so schlimm, es weiß ja niemand davon."

Mit Urt. v. 23.2.2009 hat das AG den Angeklagten wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen je 50 EUR verurteilt, die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen sowie eine Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von 6 Monaten verhängt. Im Übrigen hat das AG den Angeklagten freigesprochen.

Gegen diese Entscheidung haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft, letztere zum Nachteil des Angeklagten, jeweils am 24.2.2009 Berufung eingelegt. Der Angeklagte hat seine Berufung nicht, die Staatsanwaltschaft unter dem Datum des 14.4.2009 begründet. Mit der Berufung strebt die Staatsanwaltschaft Neuruppin eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe (auch) wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie wegen Bestechung an.

Mit Verfügung vom 15. Mai 2009 hat der Vorsitzende der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Termin zur Hauptverhandlung auf den 2.6.2009, 12:00 Uhr anberaumt.

Bei Aufruf der Sache war der Angeklagte vor Gericht erschienen.

Im Sitzungsprotokoll vom 2. Juni 2009 ist ausgeführt:

Zitat

Die Hauptverhandlung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Schöffengerichts in Zehdenick vom 23. Februar 2009, Az: 4 s 11/08, begann mit dem Aufruf der Sache.

Bei Beginn der Terminsstunde um 12:00 Uhr wurde festgestellt, dass der Angeklagte vor dem Gerichtssaal anwesend war. Sein Verteidiger hatte kurz zuvor telefonisch mitteilen lassen, dass er sich im Stau befände und ca. 30 Minuten später eintreffen werde. Dies wurde dem Angeklagten mitgeteilt. … Gegen 12:30 Uhr ließ der Verteidiger mitteilen, dass er keine Hoffnung mehr habe, in absehbarer Zeit am Gerichtsort zu erscheinen und beabsichtige umzukehren. Auf den Rückruf des Vorsitzenden in der Kanzlei des Verteidigers wurde mitgeteilt, dass dieser nunmehr bereits die Rückfahrt angetreten habe. Zu diesem Zeitpunkt war eine Terminsaufhebung noch nicht erfolgt und sämtliche Prozessbeteiligten einschließlich der geladenen Zeugen befanden sich im Gerichtssaal.

Es ist gerichtsbekannt, dass sich in den frühen Morgenstu...

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