ZPO § 286 § 287

Leitsatz

Wenn ein Morbus Sudeck nach dem Klagevortrag infolge einer ärztlichen Fehlbehandlung und der damit hervorgerufenen Gesundheitsbeeinträchtigung eingetreten ist, behauptet der Kläger insoweit einen Sekundärschaden. Für den Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen der Fehlbehandlung und dem Morbus Sudeck gilt in diesem Fall der Maßstab des § 287 ZPO (Abgrenzung zum Senatsurt. v. 4.11.2003, VersR 2004, 118).

BGH, Urt. v. 12.2.2008 – VI ZR 221/06

Sachverhalt

Der Kläger nimmt den Beklagten, einen Facharzt für Orthopädie, wegen ärztlicher Fehlbehandlung auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden in Anspruch.

Der Kläger schlug sich am 11.10.2002 mit dem Hammer auf den linken Zeigefinger und begab sich deswegen am 14.10.2002 in die ärztliche Behandlung des Beklagten. Dieser fertigte ein Röntgenbild an und diagnostizierte danach eine starke Prellung. Er versorgte den Finger mit einem Verband und entließ den Kläger als arbeitsfähig. Am 15.11.2002 rutschte der Kläger während der Arbeit aus und schlug mit dem linken Zeigefinger gegen eine Wand. Auf Grund dessen stellte er sich am 18.11.2002 bei Dr. B vor, der eine Refraktur des linken Zeigefingerendglieds diagnostizierte. Nachfolgend trat eine Sudecksche Heilentgleisung ein. Der Kläger ist seitdem arbeitsunfähig und erhält seit Mai 2004 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Der Kläger behauptet, er habe bereits am 11.10.2002 eine Fraktur des linken Zeigefingerendglieds erlitten. Dies sei auf dem gefertigten Röntgenbild eindeutig zu erkennen. Der Zeigefinger hätte ruhig gestellt und er selbst hätte arbeitsunfähig geschrieben werden müssen. Folgen der Fehlbehandlung seien der Unfall vom 15.11.2002 und das Auftreten des Morbus Sudeck.

Das LG hat dem Kläger wegen der Behandlungsverzögerung ein Schmerzensgeld von 500 EUR zugesprochen und die weiter gehende Klage abgewiesen. Das OLG hat die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Aus den Gründen

[5] “I. Das Berufungsgericht bejaht einen Behandlungsfehler des Beklagten bei der Auswertung des Röntgenbildes, weil tatsächlich eine Fraktur vorgelegen habe und die Diagnose einer Prellung mithin falsch gewesen sei. Es meint jedoch, dass sich eine Kausalität zwischen der Fehlbehandlung und der Entstehung des Morbus Sudeck nicht sicher feststellen lasse. Nach der Beurteilung des Sachverständigen sei ein Ursachenzusammenhang zwar sehr wahrscheinlich; da es jedoch möglich – wenn auch sehr unwahrscheinlich – sei, dass sich der Morbus Sudeck allein auf Grund des ersten Unfalls vom 11.10.2002 entwickelt habe, lasse sich nicht mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit die Überzeugung gewinnen, dass der Behandlungsfehler die Sudecksche Heilentgleisung hervorgerufen habe. Beweiserleichterungen kämen dem Kläger nicht zugute. Die fehlerhafte Auswertung des Röntgenbildes sei, da der Beklagte den notwendigen Befund erhoben habe, kein Befunderhebungsfehler, sondern ein Diagnosefehler. Ein grober Behandlungsfehler in Form eines fundamentalen Diagnoseirrtums liege nicht vor, weil die Fraktur nach Einschätzung des Sachverständigen eher schwierig zu erkennen gewesen sei. Da sie jedoch auf dem Röntgenbild erkennbar sei, habe keine Veranlassung bestanden, eine Vergrößerung der Aufnahme anzufertigen.

[6] II. Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

[7] 1. Das Berufungsgericht hat allerdings zu Recht das ärztliche Fehlverhalten des Beklagten am 14.10.2002 nicht als Befunderhebungsfehler, sondern als Diagnosefehler gewertet, wie er im Falle der Fehlinterpretation von erhobenen oder sonst vorliegenden Befunden gegeben ist. Im Unterschied dazu liegt ein Befunderhebungsfehler und damit ein Therapiefehler vor, wenn die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen wird (vgl. Senatsurt. v. 10.11.1987, VersR 1988, 293, 294; v. 23.3.1993, VersR 1993, 836, 838; v. 4.10.1994, VersR 1995, 46 und v. 8.7.2003, VersR 2003, 1256 f.). Vorliegend ist dem Beklagten eine Fehlinterpretation des erhobenen Befundes unterlaufen. Die Fraktur des linken Zeigefingerendglieds war auf dem von ihm angefertigten Röntgenbild nämlich zu erkennen. Das Nichterkennen dieses Bruchs stellt sich demnach als Diagnosefehler dar, und zwar auch dann, wenn das Röntgenbild, wie die Revision geltend macht, vierfach hätte vergrößert werden müssen (dazu unten unter 3b, bb).

[8] 2. Als nicht frei von Rechtsfehlern erweisen sich jedoch die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die Ursächlichkeit der Fehlbehandlung durch den Beklagten für den Gesundheitsschaden des Klägers verneint hat. Die Revision macht mit Recht geltend, bei der Beurteilung der Kausalität habe das Berufungsgericht ein zu strenges Beweismaß angelegt. Nach den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil kann nicht ausgeschlossen werden, dass es den Kläger zu Unrecht für beweisfällig gehalten hat.

[9] Der Patient hat grundsätzlich den Ursa...

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