1. Eine polizeiliche Maßnahme ist auch gegenüber einem anwesenden Störer nicht oder nicht rechtzeitig möglich im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 1 PolG BW, wenn das zur Abwehr der konkreten Gefahr nach polizeilicher Einschätzung erforderliche Verhalten dem potentiellen Adressaten rechtlich oder tatsächlich nicht möglich ist, oder der Störer bei besonderer Eilbedürftigkeit erkennbar nicht willens ist, die Störung zu beseitigen.

2. Die Anweisung, dass Polizeibeamte private Kraftfahrzeuge, die verkehrsbehindernd abgestellt sind, aus haftungsrechtlichen Gründen grundsätzlich nicht selbst wegfahren, sondern ein Abschleppunternehmen beauftragen sollen, ist nicht ermessensfehlerhaft.

3. § 8 Abs. 2 S. 1 PolG BW regelt ein intendiertes Ermessen, welches im Regelfall eine Kostenerstattung durch den Störer verlangt, von der nur im atypischen Ausnahmefall abzusehen ist.

4. Bei der Ausübung des intendierten Ermessens nach § 8 Abs. 2 S. 1 PolG BW muss die Behörde nur dann eine zu begründende Abwägungsentscheidung treffen, wenn im Einzelfall konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für einen atypischen Ausnahmefall vorliegen. Im Regelfall genügt es dagegen, wenn die Polizei feststellt, dass ein atypischer Sachverhalt, der es ausnahmsweise verlangen könnte, von einer Kostenerstattung abzusehen, nicht vorliegt.

5. Der strafrechtliche Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ("nemo tenetur se ipso accusare") steht einer Würdigung der verweigerten Mitwirkung an einem (freiwilligen) Atemalkoholtest im Anwendungsbereich des Polizeirechts mit Blick auf den spezifischen Zweck der Gefahrenabwehr nicht entgegen.

6. Die Heranziehung zu den Kosten für das Abschleppen eines Fahrzeuges wegen Anscheinsgefahr einer Trunkenheitsfahrt ist jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Betroffene die kostenaufwendige Versetzung seines Fahrzeuges durch sein Verhalten bewusst provoziert hat. Dies ist der Fall, wenn ein vernünftiger Dritter sich in der Situation in sicherer Kenntnis einer nicht vorhandenen Blutalkoholkonzentration für die Mitwirkung an einem Atemalkoholtest entschieden hätte, um seine Fahrtüchtigkeit nachzuweisen und so die Kosten für ein Abschleppen des Fahrzeuges zu vermeiden.

VGH Bad.-Württ. Urt. v. 24.2.2022 – 1 S 2283/20

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