StVG § 7 § 17 § 18; StVO § 7 Abs. 2, 3, 5 § 41 Abs. 1

Leitsatz

1. Ereignet sich ein Unfall im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel, spricht auch beim Reißverschlussverfahren der Anscheinsbeweis für ein schuldhaftes, unfallursächliches Verhalten des Spurwechslers.

2. Hat der Spurwechsler auf einer Autobahnauffahrt unter Überfahren einer schraffierten Sperrfläche unzulässigerweise rechts überholt, tritt die einfache Betriebsgefahr des überholten Kraftfahrzeugs bei der Haftungsabwägung im Einzelfall zurück.

OLG Saarbrücken, Urt. v. 1.8.2019 – 4 U 18/19

Sachverhalt

Der Kl. befuhr mit seinem Fahrzeug die F.-R.-Straße, um über die davon abgehende Zufahrtsstraße an der Anschlussstelle W.-H.-Brücke auf die Bundesautobahn 620 in Richtung Mannheim aufzufahren. Der Bekl. zu 1 befuhr vor der W.-H.-Brücke kommend ebenfalls die Zufahrtsstraße. Diese verläuft zunächst zweispurig, bis der rechte Fahrstreifen auf den linken aufgeführt wird. Nach dem Ende des rechten Fahrstreifens ist dort eine schraffierte Sperrfläche aufgebracht. Der verbleibende linke Auffahrstreifen mündet schließlich spitzwinklig in die an dieser Stelle zweispurige Bundesautobahn ein. Der Kl. wechselte mit seinem Fahrzeug nach der Auffahrt beider Fahrzeuge auf die Zufahrtstraße auf den rechten Fahrstreifen. Im Anschluss an diesen Fahrstreifenwechsel kam es aus zwischen den Parteien streitigen Umständen zu einer Kollision beider Fahrzeuge. Die rechte Vorderseite des Pkw des Bekl. kollidierte mit der linken Heckseite des Pkw des Fahrzeuges des Kl.

Der Kl. hat den Bekl. zu 1 und dessen Haftpflichtversicherung auf den Ersatz der Nettoreparaturkosten, Wertminderung, Gutachterkosten und der Kostenpauschale in Anspruch genommen.

Zum Unfallhergang hat der Kl. behauptet, auf dem rechten Fahrstreifen gefahren zu sein, während der Bekl. zu 1 etwa eine Fahrzeuglänge hinter ihm versetzt auf der linken Spur gefahren zu sein. Damit sei für den Kl. ein Fahrstreifenwechsel von rechts nach links ohne Behinderung oder auch nur Gefährdung des Bekl. zu 1 noch vor der schraffierten Fläche möglich gewesen. Nach Abschluss des Fahrstreifenwechsels des Kl. sei der Kl. auf der erreichten linken Fahrspur einige Meter gefahren, als er wegen eines vorausfahrenden Fahrzeuges habe bremsen müssen. Dieses Fahrzeug habe wegen Einfädelns in den Verkehr auf der BAB abbremsen müssen. Da der Bekl. zu 1 sich nicht auf das Geschehen auf dem Auffahrstreifen konzentriert habe, sondern seine Aufmerksamkeit auf eine Lücke des Fließverkehrs auf der BAB gerichtet gewesen sei, habe er das Abbremsen des Fahrzeuges des Kl. zu spät bemerkt, sodass sein eingeleiteter Bremsvorgang ein Auffahren nicht mehr verhindert habe.

Der Bekl. zu 1, der eine Widerklage auf den Ersatz der Netto-Reparaturkosten, der Gutachterkosten und der Kostenpauschale wegen der unfallbedingten Beschädigung seines Fahrzeuges erhoben hat, hat zum Unfallhergang eine von der Darstellung des Kl. abweichende Darstellung gegeben. Der vorausfahrende Kl. sei plötzlich über die Sperrfläche gefahren, habe das Fahrzeug des Bekl. zu 1 rechts überholt, sei vor dessen Fahrzeug gefahren und habe beim Herüberziehen auf die Fahrspur des Bekl. stark abgebremst, sodass der Bekl. zu 1 nicht mehr vor der Kollision habe abbremsen können. Das LG hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen und auf die Widerklage den Kl. zum Ersatz des Schadens des Bekl. zu 1 verurteilt.

Die Berufung des Kl. hatte keinen Erfolg.

2 Aus den Gründen:

"…"

[16] Die Berufung des Kl. ist nach den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist mithin zulässig. Im Ergebnis hat das Rechtsmittel nach Maßgabe der §§ 513, 529, 546 ZPO jedoch keinen Erfolg.

[17] 1. Zutreffend und im Berufungsverfahren nicht angegriffen hat das LG angenommen, dass beide Parteien grundsätzlich für die Folgen des Unfallgeschehens gemäß §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG – die Bekl. zu 2 in Verbindung mit § 115 VVG – einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kfz entstanden sind und die Ersatzpflicht der Bekl. auch nicht nach § 7 Abs. 2 StVO ausgeschlossen ist, weil der Unfall offenkundig nicht durch höhere Gewalt verursacht worden ist; schließlich lassen sich die Voraussetzungen, unter denen der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht worden ist (§ 17 Abs. 3 StVG), nicht feststellen. Auch der nach § 18 Abs. 1 S. 2 StVG zum Ausschluss der Ersatzpflicht der Bekl. erforderliche Nachweis, dass der Schaden nicht durch ein Verschulden des Fahrzeugführers verursacht worden ist, ist nicht geführt, nachdem ein technischer Fehler nicht in Betracht kommt und der Bekl. zu 1 nicht den Nachweis erbracht hat, dass er sich verkehrsrichtig verhalten hat. Ein Gleiches gilt entsprechend den folgenden Ausführungen für den Kl. Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen sind bei der somit vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge nur solche Umstände einzubeziehen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind. Die für die Abwä...

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