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[16] Die Berufung des Kl. ist nach den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist mithin zulässig. Im Ergebnis hat das Rechtsmittel nach Maßgabe der §§ 513, 529, 546 ZPO jedoch keinen Erfolg.

[17] 1. Zutreffend und im Berufungsverfahren nicht angegriffen hat das LG angenommen, dass beide Parteien grundsätzlich für die Folgen des Unfallgeschehens gemäß §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG – die Bekl. zu 2 in Verbindung mit § 115 VVG – einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kfz entstanden sind und die Ersatzpflicht der Bekl. auch nicht nach § 7 Abs. 2 StVO ausgeschlossen ist, weil der Unfall offenkundig nicht durch höhere Gewalt verursacht worden ist; schließlich lassen sich die Voraussetzungen, unter denen der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht worden ist (§ 17 Abs. 3 StVG), nicht feststellen. Auch der nach § 18 Abs. 1 S. 2 StVG zum Ausschluss der Ersatzpflicht der Bekl. erforderliche Nachweis, dass der Schaden nicht durch ein Verschulden des Fahrzeugführers verursacht worden ist, ist nicht geführt, nachdem ein technischer Fehler nicht in Betracht kommt und der Bekl. zu 1 nicht den Nachweis erbracht hat, dass er sich verkehrsrichtig verhalten hat. Ein Gleiches gilt entsprechend den folgenden Ausführungen für den Kl. Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen sind bei der somit vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge nur solche Umstände einzubeziehen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (BGH NJW 2007, 506, 507 Rn 18; 2012, 1953, 1954 Rn 5; Senat OLGR 2009, 394; NJW-RR 2017, 350, 351 Rn 37).

[18] 2. Das LG hat, wenn auch ohne Bezug zu einer konkreten Rechtsnorm, im Ergebnis richtig einen Verstoß des Bekl. zu 1 gegen seine Pflichten als Fahrzeugführer nicht feststellen können. In Betracht kämen ein unfallursächliches Auffahren infolge zu hoher Geschwindigkeit (§ 3 Abs. 1 StVO), Unaufmerksamkeit (§ 1 Abs. 2 StVO) und/oder unzureichendem Sicherheitsabstand (§ 4 Abs. 1 StVO). Ein solches Fehlverhalten ist hier nicht gegeben. Aus Gründen der Einheitlichkeit der Darstellung und zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf die nachfolgenden Ausführungen unter 3.c).

[19] 3. Dem Kl. selbst fällt ein unfallursächlicher, schuldhafter Verstoß gegen die auf ein Höchstmaß gesteigerten Sorgfaltspflichten beim Fahrstreifenwechsel zur Last.

[20] a) Gem. § 7 Abs. 5 S. 1 StVO darf in allen Fällen ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Nach S. 2 dieser Bestimmung ist jeder Fahrstreifenwechsel rechtzeitig und deutlich anzukündigen; dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen. Der Geradeausfahrer darf darauf vertrauen, dass ein im Nachbarstreifen Fahrender nicht unmittelbar vor ihm plötzlich grob verkehrswidrig in seine Spur einschwenkt (Freymann in Geigel, Der Haftpflichtprozess 27. Aufl. Kap. 27 Rn 217).

[21] Der Fahrzeugführer, der auf einer Fahrbahn mit mehreren Fahrstreifen für eine Richtung nach einem Überholvorgang auf den ursprünglichen Fahrstreifen wechselt, hat sich an den Verhaltenspflichten über den Fahrstreifenwechsel auszurichten, die durch die Vorschriften für das Überholen allenfalls ergänzt, nicht aber verdrängt werden (LG Saarbrücken NJW 2017, 3395, 3396). Hat sich ein Unfall in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel im Sinne des § 7 Abs. 5 StVO ereignet, spricht der Anscheinsbeweis für ein schuldhaftes Verhalten des Kraftfahrers, der den Fahrstreifen gewechselt hat (Freymann in Geigel, a.a.O. Rn 218). Der sonst zur Anwendung kommende Anscheinsbeweis, der bei einem Auffahren eines Fahrzeugs gegen den Auffahrenden spricht, kommt nicht zur Anwendung. Dieser Anscheinsbeweis ist ausgeräumt, wenn sich das Auffahren in einem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel ereignet hat (KG MDR 2011, 158, 159; Heß in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, a.a.O.). Der rechtliche Zusammenhang zwischen dem Spurwechsel und dem Auffahren ist noch nicht unterbrochen, wenn sich der Unfall ereignet, nachdem sich der Fahrstreifenwechsler etwa fünf Sekunden im Fahrstreifen des Auffahrenden befunden hat (KG NJW-RR 2011, 28 f.: 4,5 s; Heß in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, a.a.O.).

[22] b) Diese Grundsätze gelten auch für einen Spurwechsel im Reißverschlussverfahren (OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.7.2014 – I-1 U 152/13, juris Rn 36; OLG München r+s 2017, 657 Rn 9; Heß in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht 25. Aufl. § 7 StVO Rn 25). Zwar ist laut § 7 Abs. 4 StVO auf Straßen mit mehreren Fahrstreifen für eine Richtung den durch das Ende eines Fahrstreifens ...

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