A. Materielle und immaterielle Aspekte des Personenschadens

Das 40-jährige Jubiläum der Arbeitsgemeinschaft deckt sich etwa zur Hälfte mit meiner Tätigkeit im VI. Zivilsenat des BGH, bei der ich nicht nur Einblicke in die Probleme des Personenschadens nehmen konnte, sondern auch einen gewissen Einfluss auf dessen Entwicklung. Diese habe ich nach meiner Richterzeit weiterverfolgt und mich zuletzt auch an der Diskussion über das neue Hinterbliebenengeld beteiligt, vor allem aber in meiner aktiven Zeit in engem Kontakt mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) an der Reform des Schadensersatzrechts im Jahr 2002, die wichtige Änderungen für den Personenschaden gebracht hat. Darüber werde ich Ihnen gleich berichten, beginne aber mit einem Überblick über die materiellen und immateriellen Aspekte des Personenschadens.

I. Grundprinzipien deliktischer Haftung

Ausgangspunkt ist ein im Jahr 2000 vom VI. Zivilsenat entschiedener Fall,[3] der zugleich mit den Grundprinzipien auch die Grenzen des deliktischen Schadensersatzes aufzeigt.[4] Hier war der Sohn des Klägers, mit dem dieser gemeinsam eine Landwirtschaft betrieb, beim Bau einer Scheune durch das Umstürzen einer Fertigwand getötet worden. Der Kläger war hierdurch gezwungen, den Betrieb aufzugeben und hatte deshalb beträchtliche finanzielle Einbußen. Hierfür erhielt er keinen Ersatz, weil vertragliche Ansprüche nicht gegeben waren und deliktische Ansprüche am System des deutschen Deliktsrechts scheiterten.

Geschädigt war sein Vermögen – das aber gehört nicht zu den absolut geschützten Rechtsgütern, die in § 823 Abs. 1 BGB aufgezählt sind, nämlich Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum oder ein "sonstiges Recht". Dieses muss jedoch nach allgemeinem Verständnis ein absolutes oder ausschließliches Recht sein, das – wie etwa der Besitz oder das von der Rechtsprechung entwickelte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb – dem Berechtigten gegenüber jedermann zusteht,[5] während das bei Forderungsrechten und dem Vermögen nicht der Fall ist und sie deshalb nicht als absolute Rechte anzusehen sind. Eine Erweiterung des Schutzbereichs auf das Vermögen[6] durch eine Schutzgesetzverletzung ist möglich, kam hier aber nicht in Betracht, weil es an einem einschlägigen Schutzgesetz fehlte.

Freilich war das Leben des Sohnes ein absolutes Rechtsgut i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB. Geschützt ist jedoch grundsätzlich nur der unmittelbar Geschädigte, nämlich der Inhaber des Rechtsguts. Das war hier der Sohn, der aber zugleich mit dem Leben seine Rechtsfähigkeit verloren hatte, sodass ihm kein Anspruch mehr zustehen konnte. Aus der Verletzung seines Lebens konnten folglich Schadensersatzansprüche nur für Dritte und auch das nur unter den Voraussetzungen der §§ 844, 845 BGB als mittelbare Ansprüche erwachsen – denn mittelbare Ansprüche gibt es im Deliktsrecht nur, soweit das Gesetz sie ausdrücklich vorsieht.

Auch solche Ansprüche kamen aber nicht in Betracht, weil der Sohn dem Kläger weder zum Unterhalt noch zur Dienstleistung verpflichtet war und deshalb kein Anspruch nach §§ 844, 845 BGB bestand. Nur in diesen Ausnahmefällen kann also ein Dritter aus dem Verlust des Lebens eines anderen einen – mittelbaren – Anspruch auf Ersatz von materiellem Schaden herleiten. Nur zur Ermöglichung dieser speziellen mittelbaren Ansprüche wird das Leben bei den absolut geschützten Rechtsgütern des § 823 Abs. 1 BGB überhaupt erwähnt, obwohl es für den Rechtsträger selbst – wenn er es verloren hat – keine Anspruchsgrundlage mehr bilden kann. Angesichts dieser Rechtslage hatte der Vater keinen deliktischen Anspruch auf Ersatz von Schäden, die bei ihm mittelbar durch den Tod des Sohnes eingetreten sind.

Dieser Fall macht deutlich, dass es nicht für jeden Schaden Ersatz gibt – eine entsprechende Generalklausel ist dem deutschen Deliktsrecht fremd. Das ist eine harte Konsequenz dieses Systems, an der auch die Reform des Schadensersatzrechts nichts geändert hat.[7] Schon hier sei bemerkt, dass für die materiellen Schäden des Klägers auch das kürzlich eingeführte Hinterbliebenengeld keine Anspruchsgrundlage geboten hätte. Ich komme später darauf zurück.

[4] Hierzu ausführlich Müller zfs 2009, 62 ff. und 124 ff.
[5] Inwieweit das für ein Recht an eigenen Daten der Fall sein kann, wurde beim Karlsruher Forum 2019 lebhaft diskutiert.
[6] Palandt/Sprau, BGB, 77. Aufl. 2018, § 823 Rn 56.
[7] Hierzu Müller VersR 2006, 1289 f.

II. Materielle Schäden

Insgesamt sind jedoch die materiellen Schäden im Vergleich zum immateriellen Schaden viel ergiebiger und im Gesetz auch viel ausführlicher geregelt. Auch die Rechtsprechung ist hierzu wesentlich umfangreicher, wie ein Blick auf die jährliche Berichterstattung zur Rechtsprechung des VI. Zivilsenats in DAR zeigt. Ich kann hier nur in aller Kürze die Grundzüge darstellen. Allem voran steht die Generalklausel des § 249 Abs. 1 BGB, wonach der zum Schadensersatz Verpflichtete den Zustand herzustellen hat, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.

Dazu gehören beim Personenschaden nicht nur die Heilbe...

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