Der Arzt bzw. der Krankenhausträger hat sich nach dem Rechtsgedanken[38] des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB bzw. § 282 BGB a.F. nicht nur von einer Verschuldens- sondern auch von einer Fehlervermutung zu entlasten, wenn feststeht, dass die Schädigung aus einem Feld herrührt, dessen Gefahren medizinisch voll beherrscht werden können und müssen.[39] Die Bedeutung dieser Beweisregel erstreckt sich insbesondere auf die Organisation und Koordination des medizinischen Geschehens sowie auf den technisch-apparativen Bereich.[40]

Beispielsweise tragen bei den häufig zu neurologischen Beeinträchtigungen führenden Lagerungsschäden nach Operationen aufgrund der Beweislastumkehr der Krankenhausträger und die behandelnden Ärzte die Beweislast dafür, dass der Patient zur Vermeidung der Lagerungsschäden sorgfältig und richtig auf dem Operationstisch gelagert und dies auch kontrolliert wurde.[41] Dagegen rechtfertigt das bloße Auftreten eines Druckgeschwürs (Dekubitus) nicht zwangsläufig eine Beweislastumkehr, da dieses als Nebenfolge des operativen Geschehens nicht immer vermeidbar ist.[42] Im Einzelfall ist zu prüfen, ob eine voll beherrschbare Komplikation vorlag, was zumindest bei mangelnder Dekubitusprophylaxe,[43] d.h. Nichtwahrung des fachpflegerischen Standards, der Fall sein dürfte. Auch Selbstschädigungen bis hin zum Suizid von Patienten sind je nach Einweisungsdiagnose nicht immer zu vermeiden. Ein Suizidversuch kann daher nicht zwangsläufig als Indiz für eine Pflichtwidrigkeit des Arztes bzw. Krankenhausträgers gesehen werden. Hinsichtlich der ärztlichen Entscheidung, ob nach ausreichender Befunderhebung eine akute Suizidneigung vorliegt, ist ein Entscheidungsspielraum anzuerkennen.[44] Liegt eine erkennbar erhöhte, akute oder konkrete Suizidgefahr vor, sind allerdings konkrete Maßnahmen zum Schutz des Patienten durch Überwachung und Sicherung erforderlich.[45] Gesteigerte Obhutspflichten bestehen grundsätzlich zur Vermeidung von Stürzen des Patienten bei ärztlichen bzw. pflegespezifischen Maßnahmen. Beweiserleichterungen nach der Fallgruppe des "voll beherrschbaren Risikos" kommen allerdings nur dann in Betracht, wenn sich der Sturz während einer konkreten Bewegungs- oder Transportmaßnahme oder im Rahmen einer ärztlichen oder pflegerischen Handlung ereignet hat.[46] Bettgitter sind aufgrund ihres freiheitsentziehenden Charakters nur anzubringen, wenn besondere Umstände dies erfordern.[47]

[38] Zur Ablehnung der Anwendbarkeit des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB auf den Arzt- bzw. Krankenhausvertrag vgl. BGH, NJW 1980, 1333; 1991, 1540, 1541; Müller, NJW 1997, 3049 jeweils zu § 282 BGB a.F.; Müller, NJW 2003, 697, 698; Rehborn, MDR 2002, 1281, 1288; Spickhoff, NJW 2002, 1758, 1762; a.A.: Katzenmeier, VersR 2002, 1066, 1069; Giesen, Jura 1981, 10, 20 f. u. 24; ders., JR 1991, 485, 489 ff. jeweils zu § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Zur Reichweite der Norm ausführlich Katzenmeier, Arzthaftung, S. 491 ff.
[39] tw 99%BGH, VersR 1978, 82; NJW 1984, 1403, 1404; 1994, 1594, 1595; Laufs/Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 109 Rn 1; Knerr, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, § 37 Rn 92, 93; Nixdorf, VersR 1996, 160, 162 f.
[40] Laufs/Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 109 Rn 1; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 483 ff.; Nixdorf, VersR 1996, 160, 162.
[41] BGH NJW 1984, 1408; OLG Schleswig OLGR 2003, 389, 390.
[42] OLG Zweibrücken VersR 1997, 1281; LG Koblenz PflR 2001, 113 ff.
[43] BGH NJW 1986, 2365 ff.; NJW 1988, 762 ff., unzureichende Prophylaxe wegen mangelnder ärztlicher Dokumentation; OLG Celle VersR 1985, 478.
[44] OLG Koblenz MedR 2000, 136.
[45] OLG Zweibrücken MedR 2003, 181; OLG Stuttgart MedR 2002, 198, 199; OLG Oldenburg VersR 1997, 117.
[46] BGH NJW 2005, 1937, 1938; NJW 2005, 2613, 2614; NJW 1991, 1540; NJW 1991, 2960.
[47] Hans. OLG Bremen MedR 2010, 566, 567; OLG Koblenz MDR 2009, 147.

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