"…"

[8] 1. Zutreffend hat das BG Ziff. 1.4.1 AUB 2008 nicht als intransparent angesehen sowie die Frage, ob der konkrete Bewegungsablauf eine erhöhte Kraftanstrengung im Vergleich zu normalen Abläufen des täglichen Lebens erfordert, nach den individuellen körperlichen Verhältnissen des Versicherten beurteilt und dabei nicht darauf abgestellt, ob die erhöhte Kraftanstrengung nur einmalig oder regelmäßig ausgeübt wurde. Das steht im Einklang mit dem zu einer vergleichbaren Klausel ergangenen Senatsurteil vom 20.11.2019 (zfs 2020, 99), dessen Erwägungen sich (…) auf den Streitfall übertragen lassen. Von den dort näher dargelegten Grundsätzen ist das BG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auch im Streitfall ausgegangen. Die insoweit von der Revisionserwiderung erhobenen Gegenrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet (§ 564 ZPO).

[9] 2. Im Ergebnis rechtsfehlerfrei hat das BG den Riss der Supraspinatussehne als Verletzung i.S.v. Ziff. 1.4.1 AUB 2008 angesehen. Das ergibt die Auslegung der Klausel.

[10] a) AVB sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (…).

[11] b) Bei der Beurteilung von Verletzungen in Bereichen, in welchen die Gliedmaßen – also Arme und Beine – mit dem Rumpf verbunden sind, wird sich der Versicherungsnehmer zunächst am Wortlaut von Ziff. 1.4.1 AUB 2008 orientieren. Er wird erkennen, dass die Klausel keine Verletzung der Gliedmaßen selbst fordert, sondern eine Verletzung an Gliedmaßen. Das wird er dahingehend verstehen, dass auch solche Körperteile erfasst werden sollen, die sowohl mit Gliedmaßen als auch mit dem Rumpf verbunden sind. Dazu wird er die im Streitfall verletzte Supraspinatussehne zählen, die als Teil der Rotatorenmanschette den Oberarm mit Schulter und Rumpf verbindet (vgl. LG Berlin r+s 2010, 253 …).

[12] Der systematische Zusammenhang der Klausel stützt den Versicherungsnehmer bei diesem Verständnis. Anhaltspunkte dafür, dass nur solche Körperteile Berücksichtigung finden sollen, die in vollem Umfang den Gliedmaßen zufallen, sind für ihn nicht erkennbar. Vergleicht er Ziff. 1.4.1 AUB 2008 mit der Gliedertaxe (Ziff. 2.1.2.2.1 AUB 2008), wird er erkennen, dass dort nicht auf Verletzungen an Gliedmaßen, sondern auf den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit des Armes und des Beins abgestellt wird. Während ihn nichts darauf hinweist, dass der gesamte Schultergürtel bei der Anwendung der Gliedertaxe dem Arm zuzurechnen wäre (vgl. Senat VersR 2015, 617 Rn 16), wird er die auf Verletzungen an Gliedmaßen abstellende Klausel in Ziff. 1.4.1 insoweit als weiter gefasst verstehen (vgl. Hugemann in: Staudinger/Halm/Wendt, Versicherungsrecht, 2. Aufl., Ziff. 1 AUB 2010 Rn 6; Kloth/Piontek r+s 2017, 505, 508 f. …).

[13] Auf der Grundlage des Wortlauts und des systematischen Zusammenhangs wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer demnach einen Riss der Supraspinatussehne als Verletzung an Gliedmaßen i.S.v. Ziff. 1.4.1 AUB 2008 ansehen (in diesem Sinne auch OLG Saarbrücken r+s 2013, 618; OLG Koblenz OLGR 2001, 30 … ; a.A. OLG Dresden r+s 2008, 432; wohl auch Mangen in: Beckmann/Matusche-Beckmann, VersR-Hdb, 3. Aufl., § 47 Rn 31 Fn 100; unklar Leverenz in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., Ziff. 1 AUB 2008 Rn 41).

[14] 3. Entgegen der Auffassung der Revision hat das BG zu Recht eine Vorschädigung i.S.v. Ziff. 3 AUB 2008 angenommen.

[15] a) Haben Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung mitgewirkt, mindert sich gem. Ziff. 3 S. 2 AUB 2008 der Invaliditätsgrad entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens. Eine Krankheit in diesem Sinne liegt vor, wenn ein regelwidriger Körperzustand besteht, der ärztlicher Behandlung bedarf, während unter einem Gebrechen ein dauernder abnormer Gesundheitszustand zu verstehen ist, der eine einwandfreie Ausübung normaler Körperfunktionen (teilweise) nicht mehr zulässt. Demgegenüber sind Zustände, die noch im Rahmen der medizinischen Norm liegen, selbst dann keine Gebrechen, wenn sie eine gewisse Disposition für Gesundheitsstörungen bedeuten (vgl. Senat zfs 2017, 43; 2014, 39).

[16] b) Die Würdigung des – sachverständig beratenen – BG, es handle sich bei der beim Kl. infolge eines Unfalls im Jahr 2002 verbliebenen Vorschädigung der Supraspinatussehne um ein Gebrechen i.S.v. Ziff. 3 AUB 2008, das zu 90 % an der durch das Ereignis im Oktober 2013 verursachten Gesundheitsschädigung mitgewirkt habe, ist revisionsrechtlich ni...

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