"1. Die Beschwerde des Betr. gegen den Beschluss des AG Köln vom 12.9.2019, mit welchem der Antrag des Betr. vom 15.8.2019 auf Einsicht in die digitalen Falldateien inklusive Rohmessdaten der kompletten Messreihe vom Tattag zurückgewiesen worden ist, ist zulässig und begründet."

a) Der Zulässigkeit der gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 304 Abs. 1 StPO grds. statthaften Beschwerde steht § 305 S. 1 StPO nicht entgegen. Hiernach unterliegen Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen, nicht der Beschwerde. Die Regelung soll Verfahrensverzögerungen verhindern, die eintreten würden, wenn Entscheidungen des erkennenden Gerichts sowohl auf eine Beschwerde als auch auf das Rechtsmittel gegen das Urteil überprüft werden müssten. Diesem Zweck entsprechend greift die Ausnahmevorschrift des § 305 S. 1 StPO jedenfalls dann nicht ein, wenn ein Rechtsmittel gegen das (künftige) Urteil nicht eröffnet ist oder die betroffene Entscheidung im Rahmen eines zulässigen Rechtsmittels nicht überprüft werden kann (OLG Koblenz, Beschl. v. 17.3.2011 – 1 Ws 154/11, dort Tz. 6; OLG Hamm, Beschl. v. 30.1.1986 – 6 Ws 23/86 – NStZ 1986, 328 f.; LG Neubrandenburg, Beschl. v. 30.9.2015 – 82 Qs 112/15, dort Tz. 14; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 62. Aufl. 2019, § 305 Rn 1).

Dies ist vorliegend der Fall. Gegen den Betr. ist im Bußgeldbescheid vom 19.3.2019 eine Geldbuße von lediglich 120 EUR festgesetzt worden, ohne dass eine Nebenfolge angeordnet worden ist. Gegen ein entsprechendes Urteil ist daher eine Rechtsbeschwerde nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 oder 2 OWiG nicht erfüllt sind (vgl. LG Neubrandenburg, Beschl. v. 30.9.2015 – 82 Qs 112/15, dort Tz. 15) und es sich um keine der in § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3-5 OWiG genannten Fallkonstellationen handelt. Ob im Hinblick auf die Zurückweisung des Antrags des Betr. vom 15.8.2019 die Rechtsbeschwerde gem. den §§ 79 Abs. 1 S. 2, 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG wegen der Versagung des rechtlichen Gehörs oder – in analoger Anwendung des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG (vgl. Bohnert/Krenberger/Krumm in: Krenberger/Krumm, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn 22 m.w.N.) – wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit und einer Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren zuzulassen wäre (so OLG Celle, Beschl. v. 16.6.2016 – 1 Ss (OWi) 96/16, dort Tz. 4; a.A. OLG Hamm, Beschl. v. 3.1.2019 – 4 RBs 377/18, dort Tz. 5 f.), obliegt der eigenständigen Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Da ein Rechtsmittel gegen das (künftige) Urteil somit nicht von vornherein eröffnet ist, kann ein Ausschluss der Beschwerde gem. § 305 S. 1 StPO – auch mit Blick auf den Ausnahmecharakter der Vorschrift – nicht auf die bloße Möglichkeit der Zulassung der Rechtsbeschwerde gestützt werden (so auch LG Neubrandenburg, Beschl. v. 30.9.2015 – 82 Qs 112/15, dort Tz. 15).

b) Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der Betr. hat ein Recht auf Einsicht in die – nicht bei den Akten befindlichen – digitalen Falldateien inklusive Rohmessdaten der kompletten Messreihe vom Tattag.

Ein solcher Anspruch ergibt sich – auch beim standardisierten Messverfahren – aus dem Gebot des fairen Verfahrens, welches sich wiederum aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) ableitet und zudem in Art. 6 EMRK statuiert ist. Gem. Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) EMRK hat jede angeklagte Person mindestens das Recht, in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden. Dabei wendet sich das Gebot einer rechtsstaatlichen, insb. auch fairen Verfahrensgestaltung nicht nur an die Gerichte, sondern ist auch von allen anderen staatlichen Organen zu beachten, die auf den Gang eines Straf- oder Bußgeldverfahrens Einfluss nehmen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens und das hieraus folgende Gebot der Waffengleichheit erfordern, dass sowohl die Verfolgungsbehörde als auch die Verteidigung in gleicher Weise Teilnahme-, Informations- und Äußerungsrechte wahrnehmen können, um so Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können. Insofern kann sich hieraus ein Recht auf Einsicht in Akten oder Daten ergeben, welches über das Recht auf Einsicht in die dem Gericht vorliegenden Akten (§ 147 Abs. 1 StPO) hinausgeht (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.7.2019 – 1 Rb 10 Ss 291/19, dort Tz. 24 f.; LG Kaiserslautern, Beschl. v. 22.5.2019 – 5 Qs 51/19, zfs 2019, 471, 472; jeweils m.w.N.).

Bezogen auf das Bußgeldverfahren ergibt sich auf dieser Grundlage, dass ein Betr. wegen der zu garantierenden “Parität des Wissens' bzw. der “Waffengleichheit' verlangen kann, Einsicht in sämtliche existenten, zur Überprüfung der Messung erforderlichen Messunterlagen zu nehmen, und zwar auch, soweit sich diese nicht in den Gerichtsakten, sondern in den Händen der Verwaltungsbehörde befinden. Solche weitreichenden Befugnisse stehen dem Verteidiger im Vorfeld der Hauptverhandlung gerade bei standardisierten Messver...

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