"… Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Das angefochtene Urteil hält bereits sachlich-recht Überprüfung nicht stand, so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht bedarf."

1. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Verfahrensrüge hier bereits deshalb unzulässig ist, weil die ihr zugrunde liegenden Tatsachen in unleserlicher Form durch Einfügen der Kopie eines handgeschriebenen Beweisantrags mitgeteilt worden sind (vgl. dazu BGHSt 33, 44).

2. Die vom AG getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um den Schuldspruch zu tragen. Es fehlt sowohl an Feststellungen zu den objektiven Tatumständen als auch zur inneren Tatseite.

Gem. § 19 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StVO haben Fahrzeuge an Bahnübergängen vor dem Andreaskreuz zu warten, wenn rotes Blinklicht oder gelbe oder rote Lichtzeichen gegeben werden. Für Wechsellichtzeichen gem. § 37 Abs. 2 StVO ist in Rspr. und Schrifttum anerkannt, dass der Kraftfahrer beim Umschalten des Wechsellichtzeichens von grün auf gelb nur dann anhalten muss, wenn er mit einer mittleren Bremsung noch vor der Haltelinie zum Stehen kommen kann. Zum starken Bremsen oder einer Gewalt- oder Notbremsung ist der Kraftfahrer dagegen nicht verpflichtet (vgl. BGH NZV 1992, 157; OLG Hamm NZV 2003, 574; KG NZV 1992, 251; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 45. Aufl. StVO § 37 Rn 24 m.w.N.). Diese Grundsätze hat die Rspr. auf das Fahrverhalten bei Lichtzeichen an Bahnübergängen übertragen. Ein Verstoß gegen das Gebot zum Anhalten liegt daher nur vor, wenn der Fahrer bei mittelstarker Bremsung (Bremsverzögerung 4 m/s²) noch vor dem Andreaskreuz gefahrlos anhalten kann (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 12.2.2008 – 311 SsBs 12/08; ebenso OLG Jena VRS 120, 34; BayObLG DAR 1981, 153; NJW 1985, 1568; OLG Karlsruhe VRS 62, 219; OLG Schleswig DAR 1985, 291; König, a.a.O. § 19 Rn 24; Weinland, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 19 StVO, Rn 35). Hat danach der Betr. bei Beginn des gelben Lichtzeichens bereits den kritischen Punkt überschritten, nach dessen Durchfahren sein Anhalteweg über das Andreaskreuz hinausreicht, so darf er seine Fahrt über den Bahnübergang hinweg fortsetzen, wobei er diesen zügig zu überqueren hat (OLG Celle a.a.O.). Daraus folgt, dass das AG, um eine Zuwiderhandlung gegen § 19 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StVO annehmen zu können, Feststellungen über die Entfernung des Betr. von der Haltelinie bzw. dem Andreaskreuz zu Beginn der Gelbphase und zu der vom Betr. gefahrenen Geschwindigkeit treffen muss (vgl. OLG Celle a.a.O.; KG VRS 67, 63, 64). Das ist vorliegend nicht erfolgt.

Allerdings können Feststellungen zur tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit sich erübrigen, wenn zumindest die zulässige Höchstgeschwindigkeit festgestellt worden ist und aufgrund der Entfernung von der Haltelinie zu Beginn der Gelbphase feststeht, dass der Betr. bei Nichtüberschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit noch mit einer mittleren Bremsung vor der Haltelinie bzw. dem Andreaskreuz hätte anhalten können (vgl. OLG Bremen VRS 79, 38, 41; OLG Hamm VRS 85, 464, 465). Überschreitet nämlich der Betr. die zulässige Höchstgeschwindigkeit und kann deswegen nicht mehr rechtzeitig anhalten, so begründet bereits die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit die Vorwerfbarkeit des Rot- bzw. Gelblichtverstoßes (vgl. OLG Köln VM 1984, 83). Auch die Feststellung des Abstands zur Haltelinie bei Beginn der Gelbphase kann entbehrlich sein, wenn zumindest feststeht, dass der Betr. die Haltelinie erst bei Beginn der Rotphase erreichte und damit die gesamte Gelbphase, deren Dauer dann aber ebenfalls festgestellt sein muss, zum Anhalten zur Verfügung hatte (OLG Celle a.a.O.; OLG Bremen a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.). Indes müsste dann entweder die tatsächlich gefahrene oder zumindest die zulässige Höchstgeschwindigkeit und der Abstand zwischen Haltelinie und Gleisen festgestellt sein. Denn nur dann kann errechnet werden, welchen Weg der Betr. innerhalb der Dauer der Gelbphase zurückgelegt hat bzw. bei Beachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zurückgelegt haben kann und wie lang sein Anhalteweg unter Berücksichtigung der Reaktions- und Bremsansprechzeit von 0,8 Sekunden (vgl. OLG Köln VRS 96, 344; OLG Bremen a.a.O.; König, a.a.O., § 1 StVO Rn 30a) und der mittleren Bremsverzögerung von 4 m/sec² gewesen wäre. Da diese Feststellungen nicht getroffen worden sind, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an das AG zurückzuverweisen.

III. An einer eigenen Sachentscheidung gem. § 79 Abs. 6 OWiG ist der Senat gehindert, weil die Erhebung weiterer Feststellungen geboten und auch möglich ist. …“

Einsender: 3. Senat für Bußgeldsachen des OLG Celle

zfs 4/2019, S. 230 - 231

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