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Innerhalb des Kalenderjahres 2011 verkündeten sowohl der Bundesgerichtshof als auch der Gerichtshof der Europäischen Union mehrere reiserechtliche Leitentscheidungen. So hat sich der Bundesgerichtshof beispielsweise zur gerichtlichen Zuständigkeit für Klagen auf Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechte-Verordnung, zur Haftung beim Verlust von Reisegepäck und zum Umfang des Insolvenzschutzes bei Pauschalreisen geäußert. Der Gerichtshof der Europäischen Union urteilte unter anderem über zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung einer Flugannullierung und über Ansprüche der Fluggäste auf Ersatz auch immaterieller Schäden.

A. Einleitung

Das Reiserecht mag zwar nicht zu den klassischen Kernbereichen des Verkehrsrechts zählen, dennoch wird sich die Mehrzahl der im Verkehrsrecht tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sicherlich des Öfteren mit reiserechtlichen Problemen zu befassen haben. Schnittstellen bestehen beispielsweise auch zwischen Reiserecht und Schadensrecht, insbesondere im Bereich der rechtlichen Bearbeitung von Großschadensereignissen im Ausland. Daneben dürfte auch das Reiseversicherungsrecht für Verkehrs- oder Versicherungsrechtler kein gänzlich unbekanntes Feld sein. Dieser kurze Praxisaufsatz soll in knapper Form über die aktuellen Entwicklungen in einigen wesentlichen Teilbereichen des Reiserechts im Jahr 2011 (teilweise bis Anfang 2012) informieren. Der thematische Bogen spannt sich dabei von richtungweisenden Urteilen einzelner Amtsgerichte bis hin zu den großen Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Gerichtshofs der Europäischen Union.

B. Pauschalreiserecht

Unter Reiserecht im engeren Sinne wird das in den §§ 651a ff. BGB geregelte Pauschalreiserecht bzw. Reisevertragsrecht verstanden. Die Pauschalreise zeichnet sich dadurch aus, dass ein Reiseveranstalter eine Gesamtheit von mehreren Reiseleistungen in eigener Verantwortung zu erbringen verspricht.[2] Allerdings wendet die Rechtsprechung schon seit längerer Zeit das Reisevertragsrecht analog auch auf Verträge an, die die Bereitstellung eines Ferienhauses, einer Ferienwohnung oder einer Yacht zu Urlaubszwecken als alleinige Leistung beinhalten.[3]

[2] Vgl. zuletzt etwa LG Frankfurt/Main, Urt. v. 5.5.2011 – 2-24 S 195/10, RRa 2011, 173.
[3] BGH, Urt. v. 9.7.1992 – VII ZR 7/92, BGHZ 119, 152 = NJW 1992, 3158, 3159; Urt. v. 9.7.1992 – VII ZR 6/92, NJW 1992, 3163; Urt. v. 29.6.1995 – VII ZR 201/94, BGHZ 130, 128 = NJW 1995, 2629 = RRa 1995, 221; Führich, Reiserecht, 6. Aufl. 2010, Rn 85 und 93 m.w.N.

I. Reisepreisminderung

Die Vulkanaschewolke aus dem Frühling 2010 hinterließ ihre Spuren auch in der pauschalreiserechtlichen Rechtsprechung des Folgejahres 2011. So entschied das AG Rostock, dass der Reiseveranstalter bei einer Luftraumsperre wegen Vulkanasche das Preisrisiko trägt, weshalb der Reisende auch in solchen Fällen zu einer Minderung berechtigt ist. Da bei höherer Gewalt jedoch kein Verschulden des Veranstalters vorliegt, haftet er nicht für Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit.[4]

Sobald die höhere Gewalt und damit das Hindernis für die Rückbeförderung entfällt, ist der Reiseveranstalter verpflichtet, die Reisenden aufgrund der weiterhin bestehenden Rückbeförderungspflicht schnellstmöglich zurückzubefördern.[5]

Im Zusammenhang mit Kreuzfahrten stellt sich oft die Frage, ob das Nichtanlaufen von angekündigten Häfen einen Reisemangel darstellt. Das AG Rostock hat dazu nun ausgeführt, dass solche Änderungen unzumutbar sind, deren Ursachen ausschließlich der Risikosphäre des Reiseveranstalters zuzuordnen sind. Wird ein Hafen wegen Problemen bei Vertragspartnern des Reiseveranstalters und der damit verbundenen Ungewissheit einer ausreichenden Schiffsversorgung nicht angelaufen, so liegt ein Reisemangel vor.[6]

Verletzt ein Reiseveranstalter seine Informationspflichten gegenüber dem Reisenden, so kann sich allein schon aus der Informationspflichtverletzung eine Minderung ergeben. Eine solche selbständige Minderung kommt jedoch regelmäßig nur dann in Betracht, wenn sich die vorsätzliche Informationspflichtverletzung des Reiseveranstalters auf wesentliche negative Abweichungen der vom Reiseveranstalter geschuldeten Hauptleistungen bezieht. Das ist z.B. gegeben, wenn der Reiseveranstalter wesentliche Reisemängel verschweigt oder verharmlost. Von wesentlichen Reisemängeln ist dabei dann auszugehen, wenn diese im Ergebnis eine Kündigung des Reisevertrages nach § 651e Abs. 1 BGB rechtfertigen würden.[7]

Auf die (stets einzelfallbezogen zu beantwortende) Frage nach der Ermittlung einer angemessenen Quote bei der Reisepreisminderung soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Der Rahmen eines kurzen Praxisaufsatzes würde dadurch gesprengt. Insbesondere die von der 24. Zivilkammer des LG Frankfurt am Main entwickelte "Frankfurter Tabelle" bietet geeignete Anhaltspunkte für die Ermittlung einer angemessenen Minderungsquote. Ansonsten darf auf verschiedene Urteilssammlungen und Handbücher verwiesen werden.[8]

[4] AG Rostock, Urt. v. 4.2.2011 – 47 C 410/10, RRa 201...

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