StVG § 28 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 4 § 29 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 5 S. 2, Abs. 6 S. 1, S. 3, Abs. 7 S. 1, S. 2; FeV § 3 Abs. 1, Abs. 2 § 11 Abs. 8 § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. c und d

Leitsatz

1. Bei der gerichtlichen Überprüfung einer Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge ist auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen, da es sich um einen Dauerverwaltungsakt handelt und sich aus dem materiellen Recht kein anderer Zeitpunkt ergibt.

2. Ist die Anlasstat nach der Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, aber noch vor dem maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Überprüfung getilgt, kann die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge nicht auf § 11 Abs. 8 FeV gestützt werden.

BayVGH München, Urt. v. 17.1.2020 – 11 B 19.1274

Sachverhalt

Der Kl. wendet sich gegen die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge.

Mit Urt. v. 4.7.2013, rechtskräftig seit 25.7.2013, verurteilte ihn das AG München wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr. Dem lag zu Grunde, dass er am 8.6.2013 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,88 ‰ mit einem Fahrrad am Straßenverkehr teilgenommen hatte.

Mit Schreiben vom 23.9.2013 forderte die Bekl. den Kl. erstmals auf, innerhalb von drei Monaten ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Mit Schreiben vom 15.4.2014 forderte die Bekl. den Kl. erneut auf, ein solches Gutachten vorzulegen. Mit Schreiben vom 21.9.2016 forderte die Bekl. wieder die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Zuletzt forderte die Bekl. den Kl. mit Schreiben vom 10.1.2017 auf, innerhalb von drei Monaten ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Es sei zu klären, ob der Kl. auch zukünftig ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde. Zusätzlich sei zu klären, ob er zukünftig mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auch unter Alkoholeinfluss mit einem Kfz am Straßenverkehr teilnehmen werde.

Nachdem der Kl. kein Gutachten vorlegte, entzog ihm die Bekl. mit Bescheid vom 23.5.2017 die Fahrerlaubnis und untersagte ihm das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen. Zur Begründung führte sie aus, der Kl. habe das zu Recht angeordnete Gutachten nicht vorgelegt. Die sofortige Vollziehung wurde nicht angeordnet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2017 wies die Regierung von O. den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.5.2017 zurück. Die Entscheidung sei rechtmäßig, da der Kl. kein medizinisch-psychologisches Gutachten vorgelegt habe. Die sofortige Vollziehung wurde weiterhin nicht angeordnet.

Die gegen den Bescheid vom 23.5.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.11.2017 erhobene Klage hat das VG München mit Urt. v. 12.12.2018 [M 26 K 17.5985] abgewiesen. Der Kl. habe das rechtmäßig angeordnete Gutachten nicht vorgelegt. Die Bekl. habe daher nach § 11 Abs. 8 FeV auf seine Ungeeignetheit schließen dürfen. Die Tat vom 8.6.2013 habe der Gutachtensaufforderung vom 10.1.2017 zugrunde gelegt werden können. Erst mit Ablauf des 4.7.2018 sei sie für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge nicht mehr verwertbar.

Mit der vom Senat nur bezüglich der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge zugelassenen Berufung macht der Kl. geltend, der Bescheid sei insoweit rechtswidrig. Die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge sei nicht gerechtfertigt, da die Straftat vom 8.6.2013 schon seit 1.5.2019 tilgungsreif sei. Es sei auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung und nicht des Bescheiderlasses abzustellen, da keine bestehende Erlaubnis zum Erlöschen gebracht, sondern ein eigentlich erlaubnisfreies Verhalten untersagt werde.

2 Aus den Gründen:

"… I."

[15] Die Berufung ist zulässig, obwohl der Kl. keinen bestimmten Antrag gestellt hat (§ 124a Abs. 6 S. 1 i.V.m. Abs. 3 S. 4 VwGO). Der Berufungsantrag ist unter Heranziehung der Berufungsgründe auszulegen und braucht nicht zwingend ausdrücklich oder förmlich gestellt werden, sondern es genügt, wenn sich der Inhalt des Berufungsantrags aus dem fristgerechten Berufungsvorbringen ergibt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn 25; BVerwG, Beschl. v. 30.6.2016 – 2 B 40.15 – juris Rn 7).

[16] Der Kl. hat mit seiner Berufungsbegründung auf seinen Schriftsatz vom 20.2.2019 im Berufungszulassungsverfahren verwiesen, mit dem er schon die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils beantragt hatte. In der Zusammenschau der Berufungsbegründung vom 10.9.2019, die sich nur auf die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge bezieht, und dem in Bezug genommenen Schriftsatz ergibt sich gerade noch hinreichend deutlich, dass der Kl. insoweit die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und die Aufhebung der Nummer 4 des Bescheids beantragen wollte. Dass er auch Nummer 5 des Bescheids, mit dem ihm die Kosten des Verwaltungsverfahrens auferlegt worden sind, bezüglich der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge angreifen wollte, lässt sich jedoch weder dem Schriftsatz vom 20.2.2019 noch seiner Berufungsbegründung entnehmen.

II.

[17] Die Berufung ist auc...

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