BGB § 254 § 823; StVG § 9 § 11 S. 2 § 17 § 181; StVO § 1 Abs. 2 § 2 Abs. 2 § 10 S. 1; VVG § 115 Abs. 1

Leitsatz

Stößt ein die Busspur entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung befahrender Radfahrer mit einem aus einer Grundstücksausfahrt mit seinem Kfz ausfahrenden Kraftfahrer zusammen, tritt bei der Haftungsabwägung das allenfalls leichte Verschulden des Kraftfahrers hinter dem grob fahrlässigen Verhalten des Radfahrers zurück.

(Leitsatz der Schriftleitung)

OLG Frankfurt, Urt. v. 5.6.2012 – 4 U 88/11

Sachverhalt

Der Kl. befuhr mit seinem Fahrrad die Busspur entgegen der Fahrtrichtung und stieß mit dem von dem Bekl. zu 2) gesteuerten, bei der Bekl. zu 1) haftpflichtversicherten Pkw zusammen, der aus einem Grundstück ausfuhr. Der Senat ging von einer alleinigen Haftung des Radfahrers aus.

2 Aus den Gründen:

“II. 2. … Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung i.S.d. § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung (513 Abs. 1 ZPO). Das LG hat zu Recht die Klage abgewiesen.

a) Die Kl. hat gegen die Bekl. keinen Anspruch auf Schmerzensgeld aus §§ 18 Abs. 1, 11 S. 2 StVG, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB, 115 Abs. 1 VVG. Eine etwaige Haftung der Bekl. zu 2) nach § 18 Abs. 1 StVG tritt im Rahmen der Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge gem. § 9 StVG, § 254 BGB zurück, denn der Unfall beruhte, wie das LG zutreffend festgestellt hat, auf dem ganz überwiegenden Verschulden der Kl. Dabei können bei der Abwägung des ursächlichen Verhaltens der Beteiligten untereinander entsprechend den zu § 17 Abs. 1 und 2 StVG entwickelten Grundsätzen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die unstreitig, zugestanden oder bewiesen sind und sich nachweisbar unfallursächlich ausgewirkt haben (König, in: Hentschel/König/Dauer, StraßenverkehrsR, 41. Aufl. [2011], § 9 StVG Rn 6 ff., OLG Saarbrücken, NJW-RR 2011, 754).

Die Kl. hat, indem sie die Busspur entgegen der vorgesehenen Fahrtrichtung befuhr, grob verkehrswidrig gegen die ihr gem. § 1 Abs. 2 StVO obliegenden Sorgfaltspflichten verstoßen. Danach hat jeder Verkehrsteilnehmer sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Dabei rechtfertigt allein die unstreitige Tatsache, dass die Kl. die Busspur entgegen der Fahrrichtung befuhr, die Annahme eines grob verkehrswidrigen Verhaltens der Kl. (vgl. OLG Celle, Urt. v. 31.1.2003 – 14 U 222/02, BeckRS 2003, 30304366 m.w.N.). Auf die mit der Berufungsbegründung gerügten Feststellungen des LG hinsichtlich der weiteren Sorgfaltsverstöße der Kl. kommt es demnach für die Entscheidung nicht an.

Demgegenüber ist auf Seiten der Bekl. zu 2) – wie das LG zutreffend angenommen hat – allenfalls von einem geringen Verschulden auszugehen. Zunächst streitet hier für das schuldhafte Verhalten der Bekl. zu 2) kein Anscheinsbeweis. Zwar spricht ein Anscheinsbeweis für das Alleinverschulden des aus dem Grundstück Fahrenden, wenn es in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Ausfahren zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr kommt (König, in: Hentschel/König/Dauer, § 10 StVO Rn 11). Hier liegen die Anknüpfungstatsachen für den Anscheinsbeweis jedoch nicht vor, denn die Kl. ist verkehrswidrig entgegen der Fahrtrichtung gefahren (vgl. für den Fall der Benutzung eines Radwegs auf der falschen Seite: OLG Saarbrücken, NJW-RR 2011, 754 Rn 69).

Aufgrund der bindenden Feststellungen des landgerichtlichen Urteils (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) ist jedoch allenfalls von einem geringen Verschulden der Bekl. zu 2) auszugehen, indem die Bekl. zu 2), wie das LG zutreffend ausgeführt hat, zwar langsam auf die Busspur auffuhr, aber sich nicht von einem Dritten einweisen ließ. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen, liegen insoweit nicht vor.

Das LG hat im Rahmen der Beweisaufnahme rechtsfehlerfrei festgestellt, dass davon auszugehen sei, dass die Bekl. zu 2) ihr Fahrzeug an der Busspur zunächst angehalten habe und nach links gesehen habe und dann langsam angefahren sei. Ob die Bekl. auch nach rechts gesehen habe, sei nicht erwiesen. Aufgrund der Betonsäulen habe die Bekl. zu 2) um freie Sicht nach rechts zu erhalten, mit dem Fahrzeug über die Bordsteinkante ein Stück über die Busspur fahren müssen. Zutreffend hat das LG unter diesen Umständen allenfalls ein geringes Verschulden der Bekl. zu 2) als erwiesen angesehen. Weitere Umstände, die einen schwerwiegenderen Sorgfaltsverstoß der Bekl. zu 2) begründen könnten, hat die Beweisaufnahme durch das LG nicht ergeben. Zu Lasten der Bekl. können im Rahmen der Abwägung jedoch wie oben ausgeführt nur die bewiesenen Umstände Berücksichtigung finden. … “

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