[1] “Die Klägerin, ein Eisenbahnverkehrsunternehmen, begehrt von der Beklagten, die als Eisenbahninfrastrukturunternehmen den Gleisbetrieb unterhält, Schadensersatz wegen eines Bahnunfalls.

[2] Am 8.5.2003 befuhr ein Triebwagen der Klägerin den von der Beklagten betriebenen Streckenabschnitt Görlitz-Bautzen. Nach Durchfahren einer Kurve kollidierte er mit einer von mehreren auf dem Gleis stehenden Kühen, die zuvor von einer Weide auf das Bahngleis gelaufen waren.

[3] Die Klägerin beziffert ihren Schaden an dem Triebwagen auf insgesamt 3.691,50 EUR und verlangt davon nach Anrechnung ihrer eigenen Betriebsgefahr zwei Drittel, also 2.461 EUR, von der Beklagten ersetzt. Das AG hat der Klägerin Schadensersatz in Höhe von 1.218,26 EUR zuerkannt. Auf die Berufung der Klägerin hat das LG das Urteil des AG abgeändert und der Klägerin hälftigen Schadensersatz, also 1.845,75 EUR zuerkannt; die Anschlussberufung der Beklagten blieb ohne Erfolg.

[4] Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin verfolgt mit der Anschlussrevision ihre Klage weiter, soweit das Berufungsgericht zu ihrem Nachteil erkannt hat.

[5] I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts haftet die Beklagte als Eisenbahninfrastrukturunternehmerin der Klägerin aus § 1 Abs. 1 HaftpflG. Ein Haftungsausschluss wegen höherer Gewalt nach § 1 Abs. 2 HaftpflG greife nicht ein.

[6] Nach § 13 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 HaftpflG sei eine hälftige Aufteilung der Haftungsverantwortung zwischen den Parteien gerechtfertigt. Eine Kuh auf den Gleisen sei zwar ein die Betriebsgefahr erhöhender Umstand zu Lasten der Beklagten. Zu Lasten der Klägerin sei aber gefahrerhöhend zu berücksichtigen, dass sich ihr Zug in Reisegeschwindigkeit bewegt und dies ein rechtzeitiges Abbremsen unmöglich gemacht habe. Außerdem sei in Rechnung zu stellen, dass die Beklagte für Risiko erhöhende Umstände einstehen müsse, die sie auch bei Anwendung jeder praktisch möglichen Sorgfalt nicht habe vermeiden können. Anders als bei in die Fahrtrasse hineinreichenden Steinen oder Bäumen habe es der Eisenbahninfrastrukturunternehmer bei Tierunfällen praktisch nicht in der Hand, die Fahrbahn wirksam gegen Hindernisse abzusichern. Hier sei die Fahrtrasse aus Sicht des Unternehmers vielmehr technisch in Ordnung und “eigentlich Hindernis frei’. Ein praktisches Bedürfnis, Maßnahmen zur Beseitigung des Hindernisses zu ergreifen, entstehe in aller Regel nicht, weil sich die Tiere wieder entfernten, bevor ein Eingreifen möglich sei.

[7] Das Berufungsgericht erkennt der Klägerin demgemäß hälftigen Ersatz des von ihr geltend gemachten Schadens zu. Den Vortrag, mit dem die Beklagte den von der Klägerin nach Ansicht des Berufungsgerichts in erster Instanz schlüssig vorgetragenen Schaden mit Nichtwissen bestritten hat, hat es nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen, weil das Bestreiten durch die Beklagte erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz am 5.7.2005 erfolgte und deswegen nach § 296a ZPO ausgeschlossen gewesen sei. Das der Beklagten gewährte Schriftsatzrecht habe nicht zum Einreichen neuen Vortrags oder erstmaligen Bestreiten früheren Vortrags der Klägerin gedient.

[8] II. Das Berufungsurteil hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Anschlussrevision rügt mit Recht die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Bildung der Haftungsquote als rechtsfehlerhaft. Die von der Revision erhobene Verfahrensrüge greift ebenfalls durch.

[9] 1. Zutreffend ist die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte der Klägerin gem. § 1 Abs. 1 HaftpflG dem Grunde nach hafte.

[10] a) Dieser von der Revision nicht angegriffene Ausgangspunkt entspricht der Rspr. des Senats, nach der das den Gleisbetrieb unterhaltende Eisenbahninfrastrukturunternehmen als Betriebsunternehmer i.S.v. § 1 Abs. 1 HaftpflG anzusehen ist (Senat BGHZ 158, 130, 133 ff. sowie Urt. v. 22.6.2004, juris Rn 4; ebenso Filthaut, Haftpflichtgesetz, 7. Aufl., § 1 Rn 55 m.w.N.). Auch ein Eisenbahnverkehrsunternehmen kann im Verhältnis zu dem den benutzten Gleisbetrieb unterhaltenden Eisenbahninfrastrukturunternehmen jedenfalls dann Geschädigter i.S.v. § 1 Abs. 1 HaftpflG sein, wenn die den Unfall auslösenden Ursachen im Bahnbetrieb liegen und dem Risikobereich des Infrastrukturunternehmens zuzuordnen sind (Senat BGHZ 158, 130, 137 ff. m.w.N.; ebenso OLG Stuttgart, Urt. v. 12.2.2003, VersR 2003, 648, 649).

[11] b) Nicht gefolgt werden kann der Revision, soweit sie in Zweifel zieht, ob sich der Bahnunfall “bei dem Betrieb’ der Eisenbahninfrastruktur i.S.v. § 1 Abs. 1 HaftpflG ereignet hat.

[12] aa) Ein Betriebsunfall i.S.d. § 1 Abs. 1 HaftpflG liegt vor, wenn ein unmittelbarer äußerer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung der Bahn besteht oder wenn der Unfall durch eine dem Bahnbetrieb eigentümliche Gefahr verursacht worden ist (Senat BGHZ 158, 130, 132 m.w.N.). Ein unmittelbarer äuß...

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