ZPO § 233

Leitsatz

Scheitert die Übertragung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax, ist der Rechtsanwalt nicht verpflichtet, den Schriftsatz über das besondere elektronische Anwaltspostfach zu versenden.

LG Mannheim, Beschl. v. 17.1.2020 – 1 S 71/19

Sachverhalt

Der Beklagtenvertreter legte mit einer Berufungsschrift v. 17.6.2019, eingegangen per Fax beim LG Mannheim am 18.6.2019, gegen ein am 17.5.2019 zugestelltes Urteil Berufung ein. Am 28.6.2019 beantragte er hinsichtlich der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trug er vor, am 17.6.2019 ab 17.17 Uhr bis um 23.16 Uhr die Übersendung per Fax von drei unterschiedlichen, auf ordnungsgemäße Funktion überprüften Faxgeräten und -anschlüssen durchgängig ohne Erfolg versucht zu haben. Die Übersendung sei stets an die bekannte Faxnummer des LG versucht worden. Die Ermittlung weiterer Faxanschlüsse des Gerichts sei fehlgeschlagen. Da Versendungen über die Faxgeräte des Büros des Beklagtenvertreters an andere Empfänger geglückt seien, müsse das Empfängerfaxgerät des Gerichts einen technischen Fehler aufgewiesen haben. Der Antrag auf Wiedereinsetzung hatte Erfolg.

2 Aus den Gründen:

"…"

[5] II. (…) Die Bekl. war gem. § 233 S. 1 ZPO ohne ihr Verschulden verhindert, die Berufungsfrist als Notfrist einzuhalten. Der Beklagtenvertreter, dessen Verschulden sich die Bekl. gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsste, hat die Sorgfaltspflichten bei der Versendung per Fax eingehalten (dazu 1). Der Beklagtenvertreter war auch nicht verpflichtet, die Berufungsschrift über sein besonderes Anwaltspostfach zu versenden (dazu 2).

[6] 1. Ein Verschulden des Beklagtenvertreters an der erfolglosen Übermittlung der Berufungsschrift am 17.6.2019 kann nicht angenommen werden.

[7] Die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Fax ist in allen Gerichtszweigen uneingeschränkt zulässig. Der Nutzer hat mit der Wahl eines anerkannten Übermittlungsmediums, der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnt, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss bis 24 Uhr zu rechnen ist (BVerfG NJW 1996, 2857 [2858]; BGH NJW-RR 1997, 250 [250]; NJW-RR 2004, 283).

[8] Gemessen an diesen Anforderungen hat der Beklagtenvertreter das Erforderliche für eine fristwahrende Übermittlung per Fax getan. Dies lässt sich den vorgelegten 43 Sendeberichten entnehmen: Bereits um 17.17 Uhr am 17.6.2019 hat er erstmals versucht, die Berufungsschrift zu übermitteln. Dabei hat er die korrekte Faxnummer des LG verwendet. Zwar umfasst die Sorgfaltspflicht bei der Versendung per Fax auch, dass aus allgemein zugänglichen Quellen gegebenenfalls weitere Faxnummern des LG zu ermitteln sind, um den Versand an andere Geräte zu versuchen (BGH NJW-RR 2017, 1084 [1084]). Auf der Internetseite des LG Mannheim wird indessen nur die vom Beklagtenvertreter verwendete Faxnummer angegeben. Unter normalen Umständen war mit einem Eingang der Sendung am 17.6.2019 zu rechnen. Die in vielen Sendeberichten angegebene Fehlermeldung (“NO ANS: Keine Antwort') deutet auch nicht auf eine Fehlbedienung des Faxgeräts, sondern auf eine technische Störung des Faxgeräts des LG hin.

[9] 2. Der Beklagtenvertreter hat die Versäumung der Berufungsfrist auch nicht dadurch verschuldet, dass er die Berufungsschrift nicht über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) an das LG übermittelt hat.

[10] Der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 69, 381 = NJW 1986, 244 [244]; BVerfGE 88, 118 = NJW 1993, 1635 [1635]; BGH NJW-RR 2003, 861). Die Gerichte dürfen daher bei der Auslegung der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand regelnden Vorschriften die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, nicht überspannen (BVerfGE 40, 88 = NJW 1975, 1355 [1355]; BVerfGE 67, 1 = NJW 1984, 2567; BVerfG NJW 1996, 2857 [2857]; NJW 2000, 1636; BGH NJW-RR 2003, 861).

[11] Wenn die Gerichte das Fax uneingeschränkt als Kommunikationsmittel zulassen, dürfen die aus den technischen Gegebenheiten herrührenden besonderen Risiken nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden. Dies gilt im Besonderen für Störungen des Empfangsgeräts im Gericht. In diesem Fäll liegt die entscheidende Ursache für die Fristsäumnis in der Sphäre des Gerichts (BVerfG NJW 2001, 3473 [3473]; BGH NJW-RR 2003, 861).

[12] Von einem Rechtsanwalt, der sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf eingerichtet hat, einen Schriftsatz durch Fax zu übermitteln, kann daher beim Scheitern der gewählten Übermittlung infolge eines Defekts des Empfangsgeräts oder wegen Leitungsstörungen nicht verlangt werden, dass er innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte, vom Geri...

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