1) Die Entscheidungen des BGH vom 23.7.2019 und des LG Berlin betreffen eine Haftpflichtversicherungen bei der Durchführung von Verkehrsunfallprozessen begegnende typische Situation. Der Haftpflichtversicherer verfügt über keine Information, die ihm ein Bestreiten der Unfalldarstellung des klagenden – angeblichen – Unfallgegners erlaubt. Da das Bestreiten des Haftpflichtversicherers vollständig und vor allem der Wahrheit gemäß erfolgen muss (§ 138 Abs. 1 ZPO), wäre bei dieser Konstellation ein ausreichendes Bestreiten nicht möglich, gäbe es nicht die Vorschrift des § 138 Abs. 4 ZPO, die – ausnahmsweise – ein Bestreiten mit Nichtwissen unter den dort genannten Voraussetzungen erlaubt. Ursache der Informationslücke der Haftpflichtversicherung ist oft der nicht mitwirkungswillige VN. Ein gleichwohl erfolgtes Bestreiten durch den Prozessbevollmächtigten des Schädigers ist dann unzulässig, wenn der Gegner solche Tatsachen vorgetragen hat, die Gegenstand der eigenen Wahrnehmung des Mandanten gewesen sind. Dem Prozessbevollmächtigten bleibt es nur übrig, die Einlassung zu verweigern oder eine Vertagung zu beantragen – zwei Reaktionsmöglichkeiten, deren Erfolgsaussichten bei schon längere Zeit vorliegenden Behauptungen der Gegenseite gering sind (vgl. Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, Rn 48).

2) Das Bestreiten mit Nichtwissen als besondere Form des Bestreitens lässt offen, ob die Behauptung des Gegners als richtig oder falsch bezeichnet wird. Anders als das Bestreiten in seiner regelmäßigen Form, in der die Erklärung abgegeben wird, dass die gegnerische Behauptung falsch ist, bleibt die Wertung beim Bestreiten mit Nichtwissen offen (vgl. Gerken a.a.O. § 138 Rn 29).

Eine Behauptung des Gegners, die sich auf behauptete Handlungen der Partei oder Gegenstände der eigenen Wahrnehmung der an sich erklärungspflichtigen Partei bezieht, wird dann angenommen und eine Erklärung mit Nichtwissen für zulässig gehalten, wenn die Partei glaubhaft machen kann, sich an den bestimmten Vorgang nicht erinnern zu können, und ihr auch Hilfsmittel zur Gewinnung der Erinnerung nicht zur Verfügung stehen (vgl. BGH NJW 1995, 130 f.; Dötsch MDR 2013, 1362 [1365]; Kern in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 23. Aufl., § 138 Rn 42); in einem Verkehrsunfallprozess ist das nur schwer vorstellbar.

Liegt eine unzulässige Erklärung mit Nichtwissen vor, greift die in § 138 III ZPO angeordnete Fiktion eines Geständnisses ein (vgl. Gerken a.a.O. § 138 Rn 44). Hat die eigene Partei ihren Prozessbevollmächtigten nicht informiert, kann der allein gelassene Prozessbevollmächtigte nicht seine Zuflucht im Bestreiten mit Nichtwissen suchen. Nur bei neuem Vorbringen, auf das er mangels Information nicht Stellung nehmen kann, kann er mit Aussicht auf Erfolg der misslichen Situation mit Anträgen auf Vertagung (§ 227 ZPO) oder Schriftsatznachlass begegnen (§ 283 ZPO). Für die Möglichkeit der Erklärung mit Nichtwissen kommt es allein auf die Fähigkeit der Partei zur Erklärung, nicht auf die des Prozessbevollmächtigten an.

3) Modifikationen des Bestreitens mit Nichtwissen sind dann anzuerkennen, wenn der Haftpflichtversicherer als Bekl. in einem Verkehrsunfallprozess auftritt. Im Verkehrsunfallprozess kann der Haftpflichtversicherer entgegen der Unfallschilderung seines VN den Unfallverlauf bestreiten. Gerade wenn er einen manipulierten Unfall vermutet, ist er nicht gehalten, von dem VN angegebene Schilderungen wiederzugeben, sondern kann sich auf ein Bestreiten mit Nichtwissen zurückziehen (vgl. Gerken a.a.O. § 138 Rn 44). Bleiben Informationen zum Unfall durch den am Unfall beteiligten VN aus, muss die Haftpflichtversicherung belegen, welche Maßnahmen sie auch gegenüber dem VN zur Erlangung von Informationen getroffen hat (vgl. BGH NJW-RR 2002, 612; BGH NJW-RR 2016, 251; vgl. auch Grootens/Egner NJW 2019, 3182.

4) Das Fehlen von Informationen im Rahmen der Abwicklung nach dem Grüne-Karte-System genügt nicht für ein zulässiges Bestreiten mit Nichtwissen. Vielmehr erfordert die aus § 138 ZPO abgeleitete Prozessförderungs- und Wahrheitspflicht weiter gehende Erkundigungen des Büros Grüne Karte (vgl. LG Hildesheim, Urt. v. 12.5.2017 – 7 S 10/17).

RiOLG a.D. Heinz Diehl

zfs 2/2020, S. 88 - 90

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