Hinweis

"Ihre Auffassung, dass ein vollständiger Ausgleich der Reparaturkosten nicht erfolgen könne, da mit der durchgeführten Reparatur die sog. 130 %-Grenze überschritten sei, ist unzutreffend."

Das von unserem Mandanten beauftragte Sachverständigengutachten kam zu dem Ergebnis, dass das bei dem Verkehrsunfall beschädigte Fahrzeug reparaturwürdig ist. Auf Vertrauen dieses Sachverständigengutachtens hat unser Mandant die Reparatur des Fahrzeugs in Auftrag gegeben. Während der Durchführung der Reparaturarbeiten an dem Fahrzeug wurde durch die Werkstatt ein nicht ohne weiteres erkennbarer Schaden festgestellt. Nach dieser Feststellung hat die Werkstatt den Sachverständigen hinzugezogen, welcher die in der Anlage zu diesem Schreiben befindliche Stellungnahme fertigte.

Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser nun erkannte Schaden bei der Begutachtung nicht erkennbar war. Für eine ordnungsgemäße Beseitigung der Unfallfolgen waren diese Arbeiten auch nach Auffassung des Sachverständigen notwendig.

Bei der Bewertung Ihrer Schadenersatzpflicht verkennen Sie die st. Rspr. zum Prognoserisiko. Liegt der Schaden tatsächlich höher als der vom Sachverständigen prognostizierte Schaden, geht dies zu Lasten des Schädigers, auch wenn dabei die Grenze des sog. Integritätsinteresses von 130 % des Widerbeschaffungsaufwandes überschritten wird.

Hierzu verweisen wir insb. auf das Urt. des LG Köln v. 4.6.2015 – 9 S 22/14 – . Auf dieses Urteil bezugnehmend hat auch das LG Stade mit Urt. v. 7.11.2017 – 14 U 24/17 – ausgeführt, dass der Unfallgeschädigte auf die Werte des Sachverständigengutachtens vertrauen durfte. Anders liegt es nur dann, wenn Anhaltspunkte erkennbar sind, dass der Geschädigte Grund hat, an der Richtigkeit des Gutachtens zu zweifeln. Das Prognoserisiko für eine Ausweitung des Schadens trägt allein der Schädiger; dies hat bereits der BGH mit Urt. v. 15.10.1991 – VI ZR 314/90 – ausgeführt.

Eine abweichende Verfahrensweise wäre auch kaum vorstellbar. Der Geschädigte hätte dann die Reparatur abbrechen und auf Totalschadenbasis abrechnen müssen. Damit bliebe der Geschädigte auf den Kosten der angefangenen Reparatur sitzen. Würde man das Prognoserisiko bei dem Geschädigten ansiedeln, bliebe er auf der Differenz zwischen den tatsächlichen Reparaturkosten und der Erstattung von der Versicherung sitzen. Dies verstieße gegen die Regelung des § 249 BGB, da er ja bekanntlich schadlos bleiben soll.“

 

Erläuterung:

Das Sachverständigengutachten ist bei einem Fahrzeugschaden der Dreh- und Angelpunkt der Unfallschadenregulierung. Das sog. Prognoserisiko trägt dabei der Schädiger. Da der Geschädigte bei der Beurteilung des Schadens Laie ist, kann er sich für das ihm fehlende Wissen eines Sachverständigen bedienen. Sollten bei dem Schadensgutachten Fehler gemacht worden sein, kommen dann ggf. Regressmöglichkeiten des Versicherers gegen den Sachverständigen in Betracht.

Solange der Geschädigte sich an etablierte Sachverständigenbüros hält oder die üblichen überregionalen Gutachterorganisationen für die Erstellung des Schadensgutachtens beauftragt, können die Haftpflichtversicherungen dem Geschädigten den Vorwurf des "Auswahlverschuldens" nicht machen.

Darüber hinaus muss der Geschädigte den Sachverständigen umfassend und wahrheitsgetreu informieren. Zu diesen Informationen gehören sowohl reparierte Vorschäden als auch Altschäden im aktuellen Schadenbereich sowie ein ggf. manipulierter Kilometerstand.

Die Versicherer wenden gelegentlich ein, dass der Geschädigte zu einer Plausibilitätskontrolle des Gutachtens verpflichtet ist. Dies ist im Grundsatz richtig, jedoch ist dabei zu berücksichtigen, dass der Geschädigte eben keine Sachkenntnis hat. Lediglich offensichtliche Unstimmigkeiten müssen dem Geschädigten auffallen.

Autor: Tamás Ignácz

RA Tamás Ignácz, FA für Verkehrsrecht, Rostock

zfs 2/2020, S. 63

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